Band 1:  Die andere Hälfte meiner Seele Teil IV:  Die Schatten ihrer Vergangenheit, die Illusion seiner Zukunft


Die Schatten ihrer Vergangenheit,
die Illusion seiner Zukunft



Kapitel 1


ES war der Beginn des dritten Zeitalters der Menschheit, wie wir es später nennen würden.  Zu dieser Zeit schien es unwahrscheinlich, daß die Menschheit dieses Zeitalter jemals überleben würde, aber es gab Hoffnung, und es gab Helden, und einer dieser Helden war Captain John Sheridan, und ein Teil jener Hoffnung beruhte auf einer Rasse, genannt die Schatten...
Commander David Corwin, persönliches Tagebuch, Dezember 2260.

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Die Schatten kamen.
      Er hörte zu, wie sie starben, und wie sie töteten.  Seine Freunde starben in seinem Namen, hielten den letzten Widerstand aufrecht, so daß er sein Schicksal erfüllen konnte.  Er wollte dort bei ihnen sein, ein letztes Mal, aber er wußte, daß sie seinetwillen starben.  Ihr Opfer sollte nicht umsonst gewesen sein.
      Bist Du fertig? fragte die Stimme in seinem Kopf.
      Er wußte nicht, was er sagen sollte, aber die Stimme wußte es.  Gut.  Für Dich schließt sich der Kreis.  Du kehrst an den Anfang zurück.  Ich werde später nicht bei Dir sein können.
      Er schnappte nach Luft, als er den Schmerz fühlte.  Der Vorlone war Licht und Schönheit und Todesqual, alles gleichzeitig.  Er war im Begriff zu sterben und beide wußten es.  Das Opfer würde freiwillig erbracht werden.  Hätte er weniger tun können?
      „Bist Du fertig?” fragte die Stimme vom Comm-Schirm.  „Bist Du...?”
      „Ich...denke schon,” sagte er zögerlich.  „Ich...danke Dir.  Für alles.”
      „Es war nicht mehr als meine Pflicht und nicht weniger als mein Vergnügen.  Mach's gut und geh mit...Oh.  Natürlich.”
      Er lachte leise.  „Alles in Ordnung.  Für Dich wird immer alles in Ordnung sein.”
      „Wirst Du Dich an mich erinnern?” Mehr eine Frage als eine Bitte.  Er lächelte, warmherzig und traurig.  Als gäbe es eine andere Antwort.
      „Immer,” flüsterte er und berührte sanft das Bild auf dem Comm-Schirm.  Es verschwand und er richtete sich auf.  Es war Zeit.  Nach so langer Zeit kannte er letztlich sein Schicksal.  Er war der Pfeil, der die Bogensehne verließ.  Kein Zögern, kein Zweifeln.  Der Weg war das Ziel.
      „Bist Du fertig?” fragte die Stimme neben ihm.
      „Ja,” sagte er einfach.
      „Gut, gut.  Ja, sein sehr gut, bereit zu sein.  Nun richtige Zeit sein, um bereit zu sein, ja.  Zathras sein bereit seit langer Zeit, ja.  Zathras des Wartens manchmal müde sein, aber Zathras es gewohnt sein.  Zathras sein geduldig.  Aber nun Du fertig sein.  Gut.”
      „Was ist mit dem Feind?”
      „<Click, click> Nicht gut sein.  Feind sehr stark sein.  Könnte an Bord kommen, bevor wir abfliegen.  Das sein sehr nicht gut, aber Idee haben, ja.  Wir Hilfe holen.  Das ist Idee, wir Hilfe holen.”
      „Hilfe? Von wo?” Es wurde ihm gesagt und er lächelte.  „Ah, natürlich.”
      Und der Mann, der Jeffrey Sinclair genannt wurde, und der Fremde, genannt Zathras, betraten den Ort, den man als Babylon 4 kannte - benannt in Gedenken und Ehre - und sie glitten in Vergangenheit und Legende über.
      Aber es gab auch einige, für die Vergangenheit und Legende Fakt und Gegenwart waren.  Zwei sahen, wie sich Legende und Realität verbanden, der eine mit fast wundersamer Ehrfurcht und der andere mit einem pragmatischen Gefühl für das Mögliche.
      Wer konnte sagen, welcher der beiden in seiner Reaktion richtig lag?

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„Geheiligt sei Valen!” keuchte sie.
      „Das ist unmöglich!” schrie er.
      „Erkennen Sie es?” fragte sie.
      „Yeah,” hauchte er.  „Das ist Babylon Vier.”
      „Was...ist Babylon Vier?”
      Captain John Sheridan drehte sich zu Satai Delenn um und versuchte, eine Antwort zu formulieren.  Wenige Momente zuvor hatten sie noch auf dem Beobachtungsdeck gestanden, über das Leben, den Tod und alles dazwischen gesprochen und die Sterne beobachtet.  Und nun sah er auf einen Teil seiner Vergangenheit hinab - und seiner Zukunft.
      Bevor er antworten konnte, ertönte sein Link.  Es war Corwin.  „Captain, Tachyon-Emissionen sind stabil, aber das sind nicht unsere einzigen Probleme.  Sie sollten besser schnell hier hoch kommen und unseren Gast mitbringen.  Wir haben ein total eigenartiges Problem.”

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„Dann ist es wirklich Babylon Vier?”
      „Definitiv,” antwortete Corwin.  „Es stimmt exakt mit den Plänen überein, die Koordinaten ebenso und es ist, nun...  identisch mit allen Plänen und Spezifikationen, die ich jemals darüber gesehen habe.  Das ist Babylon Vier, darüber kann es gar keinen Zweifel geben.”
      Sheridan stöhnte, ließ sich in den Sessel fallen, und vergrub sein Gesicht in den Händen.  „Warum kann ich nie einen normalen Tag haben, wie jeder gewöhnliche Mensch?”
      „Das würde Sie total langweilen, Sir.  Und das wissen Sie.”
      „Ich hätte gegen ein bißchen Langeweile hier und da nichts einzuwenden.”
      „Sie beide erkennen es wieder?” fragte Delenn.  Corwin warf ihr einen unbeholfenen Blick zu.  Er fühlte sich bei dem Gedanken, eine Minbari an Bord des Schiffes zu haben, sehr unwohl, besonders bei ihr.  Der Captain schien ihr zu vertrauen und deshalb konnte er damit leben, aber er stellte sicher, daß sie immer überwacht wurde und auch ihr Raum bewacht war.  Alles im Namen der Sicherheit, sagte er sich immer wieder.  Was auch immer der Captain sagen mochte, Delenn war immer noch eine Minbari und Corwin hatte ein gutes Gedächtnis.  Nicht einmal der schlimmste Amnesiefall könnte jemals vergessen, was die Minbari der Menschheit angetan hatten.
      Corwin war nicht auf der Erde gewesen, als die Minbari sie zerstörten.  Niemand, der auf der Erde gewesen war, war noch am Leben, aber er war auf dem Mars gewesen und er hatte die Minbari-Flotte gesehen, die den Himmel füllte.  Und er hatte die Babylon gesehen, wie sie durch eben diesen Himmel stieß, der voller Sterne war, und jeder Stern war ein Strahl der Hoffnung nach drei Jahren der Verzweiflung.
      Sehr wenige an Bord der Babylon kannten die Vergangenheit der anderen.  Wenige, wie der Captain, waren bei den Erdstreitkräften gewesen, vor und während des Krieges.  Einige, wie die Lieutenants Franklin und Connally, hatten andere Pläne gehabt, die ihnen entrissen wurden - er ein Arzt zu werden und sie, die Hoffnung der unterdrückten Arbeiter zu sein.  Wenige, wie Corwin, hatten keine Vergangenheit oder keine, die sie zugeben würden oder die noch irgendwie zählen würde.  Die Vergangenheit war tot und es gab nur noch die Zukunft.
      Aber dennoch hatte er ein gutes Gedächtnis, und schon allein der Fakt, Satai Delenn an Bord dieses Schiffes zu haben, ließ ihn vor Wut mit den Zähnen knirschen.  Sie im Bereitschaftsraum des Captains zu haben, schien fast ein Sakrileg zu sein.  Aber wenn der Captain sie hier haben wollte....
      „Ja,” sagte Corwin.  „Sie ebenfalls?” Ihm fiel das Flackern in ihren Augen auf, als er das sagte, und er wußte, daß sich seine Schätzung als korrekt erwies.  Nur wenige an Bord der Babylon wußten von der Babylon 4-Mission - sie waren so dienlich bei der Planung gewesen, daß die Station nach dem Schiff selbst benannt worden war, aber wie Satai Delenn davon wissen konnte, würde bestimmt faszinierend sein zu erfahren.  Besonders in Anbetracht der...ah, ungewöhnlichen Umstände.
      „Es wird Babylon Vier genannt,” sagte Sheridan und hob seinen Kopf.  „Es war die vierte aus einer Serie von Missionen und Projekten, die das Babylon-Projekt genannt wurden - benannt nach diesem Schiff natürlich.”
      „Babylon Vier sollte eine Geheimbasis sein.  Proxima Drei war einfach ein wenig zu offen.  Wir wollten einen ruhigeren Ort, irgendwo abseits, einen Ort für die Widerstandsregierung, wo sie sich verstecken konnte, einen Ort, der ein wenig besser zu verteidigen war als Proxima Drei.  Eine Raumstation, von oben bis unten mit den besten Waffensystemen vollgestopft, die wir auftreiben konnten.  Ein Ort der Verteidigung und später der Offensive.  Pläne wurden erstellt, wir führten aufwendige Erkundungsmissionen durch, um einen passenden Platz zu finden, und wir fanden ihn hier.  Über diesem verlassenen Planeten.  Perfekt.”
      Corwin konnte Delenns Blick zwischen ihm und dem Captain hin- und herwandern sehen.  Er schaute ihr mit einer eisernen Entschlossenheit in die Augen und war ziemlich überrascht, Traurigkeit in ihnen zu sehen, als sie dies erkannte.
      „Aber?” fragte sie.
      „Aber es wurde verdammt nochmal nie gebaut!”
      Corwin konnte sehen, wie sie Sheridan anstarrte, vielleicht von der Bitterkeit in seiner Stimme überrascht und warum auch nicht? Obwohl er bezweifelte, daß es weise war, dies einer Minbari-Satai zu erzählen, entschied er fortzufahren.
      „Wir waren alle bereit anzufangen, als wir Orion Vier und Sieben und den überwiegenden Teil der Gürtel-Allianz verloren.  Mehr als die Hälfte unserer finanziellen und mineralogischen Ressourcen war in wenigen Wochen weg.”
      Er konnte die Emotionen in den Augen des Captains sehen.  Sheridan hatte auf Orion mehr als nur etwas Geld und Mineralien verloren.  Er verlor seine Tochter - sie wurde unter den zusammengebrochenen Gebäuden begraben.  Mit Elizabeth hatte er auch seine Frau verloren.  Während Anna noch im physischen Sinne am Leben war, war sie emotional ziemlich tot.
      „Alle unsere verbleibenden Ressourcen zehrte die Versorgung der Flüchtlinge auf, die wir noch von Orion retten konnten,” Corwin fuhr fort, ohne seinen Blick von Delenn zu nehmen.  „Aber das war nicht genug.  In diesem Jahr verhungerten Zwanzigtausend.”
      „Aber wir können jetzt nicht in der Vergangenheit verweilen, Mr.  Corwin,” unterbrach ihn der Captain plötzlich.  „Irgend etwas von irgend jemandem auf der Station?”
      „Nur das.” Corwin ging zur Kontrollkonsole und aktivierte das Kommunikationssystem.
      --- eridan und Zha'valen Delenn herüber kommen und uns treffen.  Sie sollen allein kommen.  Wir wiederholen.  Wir bitten, daß Captain Sheridan und Zha'valen Delenn herüber kommen und uns treffen.  Sie sollen allein kommen.  Wir wiederholen ---
      „Nur das.  Immer und immer wieder.  Es hat genau die richtigen Erdstreitkräfte-Identifikations-Codes, aber ich wüßte gerne, woher sie wußten, daß Sie beide hier sein würden.”
      „Mr.  Corwin.  Eine Raumstation, die nie gebaut wurde, taucht über einem Planeten auf, von dem angenommen wurde, daß er verlassen ist, der tatsächlich aber unglaublich mächtige technologische Ressourcen beherbergt, und Sie sorgen sich darum, woher sie wußten, daß ich hier bin? Die Codes sind authentisch?”
      „Hundertprozentig.  Was denken Sie? Eine Art von Black Ops-Mission? Ein Geheimprojekt? Ein Tarngerät vielleicht?”
      „Geheim genug, daß ich davon nichts weiß?”
      „Der Punkt geht an Sie, aber ich wette, daß jemand etwas darüber weiß.” Corwin sah Delenn an.  „Sie nicht?”
      „Ich...ja,” hauchte sie und sah den Captain direkt an.  „Wir müssen gehen, Captain.  Es ist sehr wichtig, daß wir das tun.”
      „Es könnte eine Falle sein,” sagte Corwin lahm.  „Ich rate Ihnen, ein Sicherheitsteam mitzunehmen.”
      „Es wurde gesagt, wir sollten allein kommen, Mr.  Corwin.”
      „Was war das für ein Titel, mit dem Sie in der Nachricht angesprochen wurden?” fragte Corwin Delenn.  „Zha'valen? Eine Art von Minbari-Rang?”
      „Es...es ist nichts.  Ich besitze keinen solchen Titel.  Bitte Captain, wir müssen gehen.  Ich kann Ihnen nicht sagen warum, aber wir müssen.”
      Corwin fing den Blick des Captains auf.  Sie log - zumindest teilweise - und alle drei wußten es.  Da gab es ein altes Centauri-Sprichwort, das die Menschen übernommen hatten.
      ‚Minbari sagen niemals die gesamte Wahrheit.’
      „Sie hat recht, David.  Was auch immer es ist, ich muß es wissen.  Starten Sie zwei Starfury-Schwadrone und lassen Sie sie ständig kreisen.  Wir werden mit einem Shuttle rüberfliegen.  Beim ersten Anzeichen von Problemen sprengen Sie das ganze Ding auseinander und sorgen Sie sich nicht um mich.”
      „Captain, ich....” Corwin warf Delenn einen weiteren Blick zu.  „Ich traue ihr nicht.  Ich denke, Sie sollten ein Sicherheitsteam mitnehmen.  Ich kann Mr. Allen kontaktieren, wir können...”
      „Es hieß ‚allein’, David.”
      Corwin seufzte.  „Gut, gut, aber...seien Sie vorsichtig, Sir.”
      Der Captain schien diesen Ratschlag für einen Moment in Erwägung zu ziehen und lachte dann.  „Das wäre viel zu einfach, Mr. Corwin.  Viel zu einfach.”

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Sie hatte es trotz allem an Bord geschafft.  Sie und ihre Alliierten hätten ihre Gegner einfach auslöschen können, aber das hätte ihnen nicht den Sieg gebracht, wenn sie diese Station nicht gestoppt hätten.  Sterben war genau das, was ihre Gegner wollten.
      Sterben bei ihrer heiligen Aufgabe.  Wie nobel von ihnen!
      Nein, der Tod war dem Schmerz des Lebens vorzuziehen, aber sie wußte genug, um sich ihrer Verantwortung bewußt zu sein - denen gegenüber, die sie gerettet hatten, und dem gegenüber, der sie geliebt hatte.
      Einige ihrer Gegner hatten überlebt und es geschafft zu fliehen.  Ein paar mehr waren gefangen genommen worden.  Die anderen waren getötet worden.  Sie fragte sich, ob sie glücklich gestorben waren, in dem Glauben, daß ihr Tod ihnen den Sieg erkaufen würde.
      Sie lagen falsch.  Es gab heute keinen Sieg der Armee des Lichts und es würde nicht mal eine Erinnerung an irgend einen geben.  Sie würden für die letzten tausend Jahre keine Siege mehr gehabt haben.
      Denn sie würde sie aufhalten.
      Susan Ivanova und ihre Schatten-Begleiter würden an Babylon 4 gekoppelt in die Vergangenheit reisen.  Das einzige, was sie tun mußten, war, den Mann namens Jeffrey Sinclair zu töten.
      Und dann würde der Krieg tausend Jahre vor seinem Beginn zu Ende sein.

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„Nun?”
      „Es tut mir leid?” Delenn sah Sheridan vorsichtig an.  Sie fand, daß er viel schwerer als alle anderen Menschen zu verstehen war, obwohl sie zugegebenermaßen wenig Kontakt mit anderen Menschen als Vergleich gehabt hatte.
      Welles war ein Ergebnis des Schlimmsten, das der Krieg einem antun konnte: ein Mann mit großen Talenten, der so hart und kalt geworden war, daß er diese Fähigkeiten nur noch einsetzte, um im Namen der Pflicht Schmerzen und im Namen des Dienstes Qualen zu erzeugen.
      Miss Alexander schien fast besiegt, lebte ihr Leben nur noch aus Gewohnheit, weil ihr der Wille fehlte, etwas anderes zu tun.
      Commander Corwin und die Sicherheitswachen, die sie getroffen hatte - inklusive der beiden, die sie geschlagen hatten - waren entweder mißtrauisch oder haßten sie einfach, immer noch einen Kampf bestreitend, bei dem sie der Gegner war, ohne zu wissen oder sich darum zu kümmern, wem sie sich im Namen des Sieges verkauften.
      Und Captain Sheridan? Bei ihm kombinierten sich all diese Eigenschaften und vieles mehr.  Er verfügte über großartige Fähigkeiten, aber er nutzte sie, um zu töten.  Sie kannte die Wut, die er offenbaren konnte, weil sie sie aus erster Hand auf erschreckende Weise gesehen hatte, aber sie erinnerte sich auch an die Gnade, die er gezeigt hatte - der einzige Akt an Gnade, den ihr je ein menschliches Wesen entgegengebracht hatte.  Sie hatte ihn sie sogar beobachten lassen, als sie geschlafen hatte, fast auf eine absurde Art und Weise an beides erinnert, an ihren Vater und das uralte Ritual des Bewachens des Schlafes zwischen Zweien, die füreinander bestimmt waren.  Es fühlte sich für sie gleichzeitig absurd und auf eine seltsame Weise richtig an.  Sie fragte sich, wie er sich gefühlt hatte.  Sie hatte keine Antwort, aber sie nahm an, er auch nicht.
      Er hatte solche Kraft, solch ein Potential, aber für welche Seite würde er sich entscheiden? Er wanderte auf einem schmalen Grat zwischen Licht und Dunkelheit.  Ein kleiner Schubs konnte ihn auf eine der Seiten drängen.  Sie wußte, daß es ihre Bestimmung war, ihn auf den richtigen Weg zu bringen.
      „Nun,” sagte er.  „Was wissen Sie über Babylon Vier, und was bedeutete der Titel? Ich weiß, daß Sie darüber nicht im Beisein von Corwin sprechen wollten, aber Sie müssen es mir jetzt sagen.”
      Sie sog den Atem ein.  Was sollte sie ihm sagen? Konnte sie es denn selbst akzeptieren, und wenn nein, wie konnte er es dann? Konnte sie denn erwarten, daß er ihr glaubte?
      „Ich habe...Ihnen von dem uralten Feind erzählt, von dem wir glauben, daß er wiedererwacht,” sagte sie zögerlich.  Babylon 4 zeichnete sich bedrohlich vor ihrem Shuttle ab.  Sie sah es an und senkte dann wieder ihren Blick.  Sheridan antwortete nicht und so fuhr sie fort.
      „Es gab vor tausend Jahren einen Großen Krieg gegen den Feind.  Ich...  weiß nicht, wieviel Ihnen Ihre...  Freundin erzählt hat?”
      „Etwas” antwortete er knapp.  „Nicht annähernd genug, aber ein wenig.”
      „Ah,” fuhr sie fort.  „Wir kämpften in diesem Kampf auf Seiten der Vorlonen und einiger anderer Rassen.  Wir vertrieben den Feind von seiner Heimatwelt Z'ha'dum und dachten, wir hätten ihn besiegt.  Es gibt nur wenige übriggebliebene Aufzeichnungen von diesem Krieg.  Einige davon zeigen genau diese Station, Captain.  Sie wurde als Operationsbasis während der letzten Tage des Krieges benutzt...vor tausend Jahren.”
      Sie hatte Unglauben, Verweigerung, sogar Wut erwartet.  Sie erhielt nur ein kurzes Grunzen.  Sie sah ihn an, aber er konzentrierte sich immer noch auf die Kontrollen.
      „Sie glauben mir?” fragte sie.
      „Satai, nach dem heutigen Tag kann mich nichts mehr überraschen.”
      „Ich ...nehme an nicht.”
      „Nun, was ist mit diesem Titel? Sah-vahlan?”
      „Zha'valen,” sagte sie, berichtigte dabei seine Aussprache.  „Es bedeutet....es bedeutet....” Sie schnappte nochmals tief nach Luft.  „Es bedeutet Ausgestoßene.  Es bedeutet, daß ich...daß ich ein ‚Schatten Valens’ bin.”
      „Kein Titel, den Sie jetzt tragen, oder?”
      „Ich...denke nicht, es sei denn, er wurde mir in meiner Abwesenheit verliehen.”
      „Ich seh' schon.  Nun, ein weiteres Mysterium.  Hoffentlich können wir das klären, wenn wir die Person treffen, die diese Nachricht geschickt hat.  Da sind schon die Landedocks.  Sieht aus, als ob sie einige Veränderungen an den Plänen vorgenommen hätten.  Entweder das, oder mein Gedächtnis läßt langsam nach.”
      Delenn war schweigsam, als Sheridan die Shuttle-Kontrollen dem Andock-System der Station übergab - mit bemerkenswertem Widerwillen, wie sie bemerkte - und sie sah statt dessen zur Station auf, die das Shuttle verschlang.
      Es gab etwas, daß sie nicht gesagt hatte.  Die Teile fügten sich so langsam in ihrem Kopf zusammen.  Die Raumstation, die ihr Volk gerettet hatte, war von den Menschen entworfen und -wahrscheinlich - auch gebaut worden.  Was machte es also aus dem, der diese Station ihrem Volk übergeben hatte? Bewies dies ihre Vermutungen?
      Und wie konnte sie erwarten, daß Sheridan ihr vertraute, wenn sie Sheridan nicht vertraute?
      „Captain,” flüsterte sie.  „Es gibt etwas, was ich Ihnen noch nicht gesagt habe.” Er sah sie an.  „Diese Station wurde meinem Volk und unseren Alliierten übergeben, um den Feind zu bekämpfen.  Der, der sie uns gab, wurde Valen genannt.”
      „Erwarten Sie, Valen hier auf Babylon 4 zu finden?”
      „Ich...hoffe...jemanden zu finden.”
      „Sie meinen einen Menschen.  Nun, das tue ich auch.  Ich werde über das nachdenken, was Sie mir erzählt haben, Satai Delenn.  Wenn wir diesen Valen finden, dann....werden wir weiter sehen.”
      Sie lächelte flüchtig.  Sie hatte bereits einmal versucht, ihm von ihrem Glauben über menschliche und Minbari-Seelen zu erzählen.  Er hatte ihr entweder nicht geglaubt oder nicht zuhören wollen.  Vielleicht fing er jetzt an zuzuhören und zu glauben.
      Als sie ihr angedocktes Shuttle verließen, empfand sie die erste Welle der Hoffnung seit ihrer Gefangennahme vor vier Monaten.

*    *    *    *    *    *    *

„Sollten wir es dem Captain sagen, Sir?”
      Corwin warf erst einen Blick auf Sicherheitsoffizier Zack Allen - den Sicherheitschef an Bord der Babylon - und dann auf die andere Erscheinung.
      „Das können wir nicht,” antwortete er.  „Kommunikation durch dieses Tachyon-Feld ist unmöglich.  Ich weiß nicht, was sie tun, aber es wird immer instabiler.”
      „Denken Sie, Sir, daß wir diesen Narn auf dem Planeten dazu kriegen können, uns helfend zur Hand zu gehen?”
      Corwin schreckte auf.  G'Kar - größter Held des Narn-Centauri-Kriegs - hatte vor wenigen Stunden Epsilon 3 übernommen, zusammen mit den riesigen technologischen Ressourcen.  Captain Sheridan hatte ihm einen kurzen Überblick über das gegeben, was passiert war, aber er wußte nicht, wer noch alles davon wußte.
      „Woher wissen Sie davon?” fragte er.
      „Machen Sie Scherze, Sir? Wir haben ihn alle vor uns auftauchen und seine Sprüche klopfen sehen.  Es war bizarr.”
      „Yeah, was ist das in der heutigen Zeit nicht?” Großartig, dachte Corwin.  Der Captain wird schon genug Ärger haben, sein Versagen vor der Widerstandsregierung zu rechtfertigen, ohne die Wahrheit sagen zu müssen.
      „Ich denke nicht, daß das eine gute Idee wäre,” begann er, als Zack ihn unterbrach.
      „Es bewegt sich!”
      Die Erscheinung vor ihnen bewegte sich tatsächlich und Corwin zog gleichzeitig mit Zack seine PPG.  Die Erscheinung vor ihnen war humanoid, aber das war alles, was er im Moment sagen konnte.  Sie war einfach im All schwebend von einem Mechbot gefunden worden.  Ein schneller Scan hatte bestätigt, daß die Erscheinung noch lebte - wahrscheinlich aufgrund des blauen Raumanzugs, den sie trug - aber Zack hatte Vorsicht empfohlen und Corwin hatte zugestimmt.  Es gab keinen Anhaltspunkt, daß sie feindlich gesinnt war, aber es gab auch keinen Grund, anzunehmen, daß sie das nicht war.
      „Wer sind Sie?” fragte er.  Es gab keine Antwort.  „Verstehen Sie mich?”
      Die Erscheinung torkelte vorwärts, was Corwin, aus einem Gefühl heraus, das er nicht identifizieren konnte, veranlaßte, seine Waffe zu senken.
      Dann sah die Erscheinung Zack an und warf sich in seine Richtung.  Sie schien nach vorne zu greifen - aus Wut oder aus Freundschaft? - und es gab eine Explosion, die Corwin nur als Blitz beschreiben konnte, die Zack zurückwarf.
      Die Erscheinung wendete sich Corwin zu...
      ...und verschwand.

*    *    *    *    *    *    *

„Nehmen Sie, John Sheridan, diese Frau zu Ihrer rechtmäßig angetrauten Ehefrau...?”
      Sheridan blinzelte.  Es war unmöglich.  Er sah auf und blickte in Annas Augen.  Sie lachten ihn an, mit einem freudigen, glücklichen Lachen, das er seit dem Tod von Elizabeth nicht mehr gesehen hatte.
      „Ich will,” flüsterte er.  „Ich will,” wiederholte er lauter.
      Anna hatte auf eine traditionelle Hochzeit bestanden, trotz des Fehlens einer angemessenen Umgebung.  Die Kapelle auf der Babylon schien da am besten geeignet und Reverend Dexter wurde dafür von Proxima 3 hinbeordert.  Anna hatte darauf bestanden, daß alles so traditionell wie möglich war.  Ihr Vater war auf der Erde gestorben, also hatte Dr. Chang sie dem Bräutigam zugeführt.  Sheridan hatte immer geplant, Jack Maynard zu fragen, ob er sein Trauzeuge werden würde, aber er hatte den Gegenangriff auf den Mars nicht überlebt, und so erbot sich General Hague die Ehre.  Es gab keine teuren Ringe und nur wenige Gäste, aber es war der glücklichste Tag ihrer beider Leben.  Sogar trotz des umgebenden Todes konnte man die Liebe bewahren.
      „Ich will,” sagte Anna.  Sie lächelte.  Es gab auch kein weißes Kleid.  Das beste, was sie aufbringen konnte, war ein leichtes Blau.  Für den Weg, den ihre Leben von da an genommen hatten, wäre wohl ein düsteres Schwarz angemessener gewesen.  Sheridan, immer noch benommen, sah sich in der Menge um.  Die Hälfte von ihnen war nun tot.
      „Paß auf,” zischte Anna.  Dies erzeugte bei allen Gekicher und er merkte, wie er rot wurde.
      „Sie dürfen die Braut jetzt küssen,” sagte Reverend Dexter.
      Er versuchte immer noch, seine Aufmerksamkeit zurückzuerlangen, als sie ihre Arme um seinen Hals schlang und ihm den längsten, glücklichsten und perfektesten Kuß gab, den er je in seinem Leben bekommen hatte.
      Er erinnerte sich an diesen Tag, als wäre es gestern gewesen.  Es war aber in der Tat neun Jahre her, kurz nachdem sich die Widerstandsregierung auf Proxima 3 niedergelassen hatte.  Anna hatte den Krieg überlebt, aber so viele andere hatten es nicht, inklusive derjenigen, die sie beide als erstes vorgestellt hatte - Johns Schwester Elizabeth.  Ihre Ehestiftung war die Grundlage eines lange währenden Witzes zwischen den Dreien gewesen.  Sheridan hatte angeboten, als Rückzahlung, ihre erstgeborene Tochter als Zehnten zu bezahlen.  Statt dessen hatte er ausgehandelt, sie nach seiner Schwester Elizabeth zu benennen.
      Er blinzelte und öffnete die Augen.  Er taumelte und wäre fast mit Satai Delenn zusammengestoßen.  Sie fing ihn auf und half ihm, sich gegen die Wand zu lehnen.
      „Was ist passiert?” fragte sie.
      „Ich...ich weiß es nicht.  Ich habe meine Hochzeit noch einmal erlebt.  Es ist, als ob ich dort war, aber es war vor neun Jahren.  Ich verstehe es nicht.”
      „Es ist uns allen passiert,” sagte eine neue Stimme.  Sheridan schreckte auf und sah nach oben.  „Sprünge, vorwärts und rückwärts.” Die Stimme kam von einem Minbari, aber einem...der mehr als nur ein bißchen menschlich aussah.  Er sah ihn nochmal an - diesmal genauer.  Die Erscheinung war definitiv Minbari, aber da war etwas in seinem Gang, in der Art, wie er stand, das ihn als Menschen verriet.
      „Grüße an Sie beide.  Ich heiße Sie an diesem Ort willkommen.” Sheridan hörte, wie Delenn leicht seufzte.  „Ich werde Valen genannt.”
      Sein Blick schweifte ab und er fand etwas Bekanntes.
      „Zathras! Aber...was machen Sie hier? Sie sind auf dem Planeten bei G'Kar geblieben!”
      „Äh, nein, Captain.  Es Zathras tun sehr leid, aber Zathras Sie zuletzt vor vielen Jahren gesehen haben, ja.  Zeit sein vergangen, ja.  Viel Zeit.  In Ihren Jahren...”
      „Zathras!” fauchte Valen.
      „Ah, ja, Zathras wissen, Zathras nicht dürfen über Zeit reden.  Zathras nicht dürfen über nichts reden.  Zathras den Mund halten sollen, Zathras der Mund geschlossen werden.  Da.  Zathras den Mund halten.” 1
      „Ich danke Ihnen beiden für Ihr Erscheinen,” antwortete Valen.  „Wir brauchen Ihre Hilfe, aber zuerst müssen Sie verstehen.  Sie müssen...”
      Sheridan blinzelte.
      „Anna! Nein!”
      „John, was tust Du?” Er hielt eine PPG, so wie sie.  Da war wieder ein Licht in ihren Augen, aber er erinnerte sich nicht an diese Situation.  Wann war das passiert?
      „Anna, was passiert hier?”
      Was hatte Valen gesagt? Sprünge, vorwärts und rückwärts?
      Sein Arm wurde nach oben gerissen und er feuerte.  Er sah, wie das Licht in ihren Augen erstarb, als ihr Körper nach hinten gerissen wurde, und zu dem Zeitpunkt, als ihr Körper den Boden berührte, wußte er, daß sie schon längst tot war.  Hinter ihm bewegte sich jemand und war im Begriff zu sprechen.
      Er blinzelte erneut und schwankte nach vorne.  Es gab kein Zeichen mehr, weder von Valen noch von Delenn.  Er fühlte sich so schwach...so hilflos.
      „Anna.  Oh Gott, hilf mir, Anna!”
      Er hatte nicht bemerkt, daß er laut gesprochen hatte, bis er Schritte hörte und sich wieder an die Wand lehnte, um die Person anzuschauen, die vor ihm stand.
      „Oh, armer Johnny,” sagte eine sich lustig machende Stimme.  „Deine Minbari-Hure hat Dich verlassen, nicht?”
      „Susan,” hauchte er.
      Und hinter ihr bewegten sich die Schatten.

*    *    *    *    *    *    *

„Wir können ihn nicht einfach allein lassen,” sagte Delenn gerade.  Sie rannten vor dem Angriff weg.  Sie wußte nicht, wie es passiert war.  Valen hatte sie begrüßt und sie war schon im Begriff gewesen, sich niederzuknien, als Sheridan getaumelt war und das Geräusch von PPG-Schüssen und das Klappern der Schatten zu hören war.  Valen hatte ihre Hand ergriffen und sie flohen.
      „Sie werden ihn nicht töten,” sagte er.  „Sie wollen mich - mich und Sie.  Sie müssen das verstehen, Delenn.  Ich muß Ihnen viel zeigen und ich habe nicht viel Zeit.  Sie haben mir davon erzählt und nun muß ich das tun, wovon Sie sagten, daß ich es getan hätte.  Ich muß...”
      Delenn blinzelte.
      Es war kalt, das war ihr erster Eindruck.  So kalt.  Sie zog ihre schwarze Robe enger um sich und starrte auf das kleine Objekt vor sich.  Es war ein grauer Steinblock, teilweise in den Boden zu ihren Füßen eingelassen.  Da waren eingravierte Buchstaben.
      Sie kniete sich nieder und berührte ihn sanft, las, was darauf stand.  Die Worte waren in zwei Sprachen geschrieben - sowohl in Englisch als auch in Adronato, aber die Bedeutung war dieselbe.

JOHN SHERIDAN

ER RUHT AN EINEM ORT,

AN DEM ES KEINE SCHATTEN GIBT



Zum Sprungtor

 

1 unübersetzbares Wortspiel: den Mund halten = shut up
dies ist im Englischen aber phonemisch, und in Anbetracht der wörtlichen Rede, gleichbedeutend mit „zerschossen werden” - so ist der Monolog auch zu übersetzen als: „Zathras sollen den Mund halten.  Zathras gerade zerschossen werden.  Da.  Zathras zerschossen.”
(Anmerkung des Übersetzers)

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