Band 1:  Ein dunkler, verzerrter Spiegel Teil IV:  Der Ruf der Maschine




Kapitel 2


ALYT Kalain war vor allem ein Krieger, und stolz darauf..  Er erinnerte sich noch an den ersten Tag, an dem er die Trigati betreten hatte, das Schiff, das sein Zuhause werden sollte.  Es war ein Moment voller Stolz, Macht und Pflichterfüllung gewesen.  Er hatte vor dem Commander des Schiffes - Sinoval - gekniet und seine Treue geschworen.  Das war nun schon fünfundzwanzig Zyklen her und in dieser Zeit war Kalain weit aufgestiegen.  Er kommandierte nun die Trigati und tat dies schon seit dem Moment, als Sinoval Mitglied des Grauen Rates geworden war.  Kalain hatte am Höhepunkt des Jihads gegen die Erdlinge teilgenommen.  Unter der Aufsicht Sinovals hatte er das Herz der Erdallianz herausgerissen, als ausgleichende Gerechtigkeit für den Mord an Dukhat.
      Sein Sieg war wertlos gewesen.  Die Erinnerung an seinen ruhmreichen Sieg gegen die Erde war für immer durch die Erinnerung an die Schande beim Mars getrübt worden.  Kalain und die Trigati hatten einen Angriff gegen die Erdenkolonie geleitet, um nach der Zerstörung der Erde aufzuräumen, als ein Schiff, das er später als die Babylon kennen sollte, wie eine dämonische Kreatur aus Legenden durch den Himmel raste, geführt von Captain John Sheridan.
      Die Babylon, von nichts weniger als wilder Wut getrieben, hatte die Verteidigung der Minbari zerrissen und war dem Schiff, das den Grauen Rat selbst enthielt, bedrohlich nahe gekommen.  Kalain hatte versucht, darauf zu reagieren, aber der Mut des Kriegers hatte ihn beim Anblick des Schiffes verlassen und er war in Panik geraten.  Sinoval befand sich vor dem Grauen Rat selbst und die Trigati war führerlos und schwebte paralysiert daneben, als Sheridan das Herz des Grauen Rates herausriß.  Es gab zwei Tote - ein Mitglied der Krieger- und eins der religiösen Kaste - und drei Schwerverletzte, die noch immer aüßerst krank waren, nur Schatten ihrer Selbst.  Sheridan war entkommen, und welche Wut ihn auch immer getrieben hatte, war der Zweckmäßigkeit des gesunden Menschenverstandes gewichen, und Kalain war zurückgeblieben, um sich mit seiner Schuld auseinanderzusetzen.
      Er hatte versucht es wieder gutzumachen.  Tatsächlich hatte er versucht in Buße Selbstmord zu begehen, aber Sinoval hatte ihn gefunden und ihn daran gehindert.  Es werden auch bessere Tage kommen, hatte Sinoval gesagt.  Er war zum Satai befördert worden, um den Platz des toten Kriegers einzunehmen, und er würde einen loyalen Kader an Anhängern benötigen.  Ein neues Zeitalter hatte begonnen und der Krieg mußte der Katalysator sein, der das Alte wegschwemmte und die Minabri zu ihrem rechtmäßigen Platz in der Galaxie zurückführte.  Kalain hatte zugehört, geweint und um Vergebung gefleht.  Sinoval konnte ihm jedoch keine Vergebung garantieren und er hatte Kalain auch gesagt warum:
      Ich kann Ihnen nicht vergeben, Alyt Kalain.  Nur die Toten können das.  Aber Sie können sich selbst vergeben.  Widmen Sie von jetzt an alle Ihre Handlungen der Wiedergutmachung Ihres Fehlers.  Büßen Sie um unseres Volkes Willen.
      Und Kalain hatte zugestimmt.  Die Trigati, die in der Schlacht schwer beschädigt worden war, hatte man repariert, verstärkt und zum Flaggschiff der neuen Minbari-Flotte gemacht.  Kalain war von neuem stolz, diesmal jedoch auf sein Volk und nicht auf sich selbst.  Die Trigati wurde als Ersatz für die Dralaphi gebraucht, um die größte aller Schlachten zu schlagen.  Nicht gegen die Erdlinge, sondern gegen die Schatten.
      Kalain war durch Sinoval die ganze Wahrheit offenbart worden, die nur eine handvoll Minbari kannten.  Ein Schiff, das dem alten Feind gehörte, war unter der Oberfläche des Mars während eines Angriffs auf den Planeten gefunden worden.  Es hatte versucht aufzusteigen und war zerstört worden.  Ein Zweites war auf dem Mond, der zum größten Planeten des Sonnensystems gehörte, gefunden worden.  Für dieses Schiff war der Feind zurückgekommen.  Bei Ganymed hatte es einen blutigen, verheerenden Kampf gegeben, einen Kampf, der vier zerstörte Minbari-Kreuzer und hunderte Tote hinterließ.  Die Schatten kehrten zurück und die Rangers wurden gebildet, um ihnen entgegenzutreten.  Die Rangers brauchten ein Flaggschiff, und das würde die Trigati sein.
      Kalain kannte Branmer - den ehemaligen Ranger Eins - sehr gut.  In der Tat hatte er während des Krieges unter Branmer gedient.  Branmer war ein großer Mann, aber zu mild.  Er war nicht stark genug gewesen, den Kampf so zu führen, wie er hätte geführt werden müssen, und nun war er tot und es gab niemanden mehr, der sie führte.  Alyt Neroon, Branmers Gehilfe, war ebenfalls verschwunden.  Kalain war kein Ranger und er wünschte auch nicht, sie zu führen.  Diese Position gehörte Sinoval, wie das jetzt auch der Fall war.
      Sinoval, jetzt Entil'zha, war ein paar Tage zuvor zu Kalain gekommen.  Er hatte erneut von seinen Träumen, Ambitionen und der Rolle, die Kalain dabei spielen würde, gesprochen.  Er hatte noch jemand anderen mitgebracht - einen alten, schwachen Mann namens Draal - einen Mann, der alle drei Mitglieder der religiösen Kaste im Grauen Rat unterrichtet hatte.  Draal war zu Satai Lennann gegangen und hatte um Hilfe in einer wichtigen Angelegenheit gebeten.  Eine Mission zu einem verlassenen Planeten, um zwei Leute - Draal und jemand anderen - dorthin zu bringen und dort zu lassen.  Das waren die offiziellen Details, aber privat hatte Sinoval etwas anderes erwähnt.  Der Planet war mehr, als er schien.  Es gab dort eine Kraft, eine Kraft, die nicht einfach einem alten Mann und einem mysteriösen Fremden überlassen werden konnte.
      Der Planet, den die Menschen Euphrat nannten, mußte nun den Minbari gehören.
      Und jetzt, da er hier war, konnte Kalain nur ein Problem finden.  Aus dem Himmel tauchte die EAS Babylon wieder auf, wie eine Furie in ihrer Bewegung, wie eine schreckliche Schönheit in ihrem Flug.
      An Bord würde sich Captain John Sheridan befinden.
      Der Sternenkiller.

*    *    *    *    *    *    *

„Voraus ist ein Minbari-Kreuzer, Captain,” sagte Lieutenant Franklin.  „Ein großer.”
      Sheridan stöhnte leise und schaute auf G'Kar und Zathras herunter.  Der Narn stand geduldig und ruhig neben Sheridans Stuhl.  Zathras rannte herum, untersuchte verschiedene Dinge und kam im allgemeinen jedem in die Quere.
      „Haben sie uns schon entdeckt?” fragte Sheridan.
      „Höchstwahrscheinlich.”
      „Gut.  Laden Sie die vorderen Geschütze und geben Sie roten Alarm.  Schicken Sie die Starfury-Schwadronen Alpha und Delta auf ihren Weg und machen Sie eine Fusionsbombe fertig.”  Sheridan holte tief Luft und lehnte sich zurück.  Die Aufregung des Gefechts stieg nun in ihm auf.  Er hieß sie freudig willkommen.  Es gab wenig Konstanten in seinem Leben, und der Kampf war eine davon.  Es war das einzige, was er gut konnte und was jedem wichtig war.
      „Captain,” sagte G'Kar.  „Wir müssen nicht kämpfen.”
      „Mit allem Respekt, G'Kar, sie sind Minbari und sie sind zweifellos hinter demselben her wie wir.  Wir haben keine Zeit, um darüber zu diskutieren.”
      „Sie haben eine ihrer Satai auf diesem Schiff gefangen.  Sie werden sicherlich nicht das Feuer eröffnen und riskieren, sie zu töten.”
      „Letztes Mal haben sie es getan.”
      „Es kann nicht schaden, sie darauf hinzuweisen.”
      Sheridan schaute  G'Kar an und erblickte die Weisheit in seinen Augen.  „Und was wissen Sie darüber?” fragte er Zathras.
      „Varn schicken viele von uns los.  Er nicht sein sicher über den Richtigen, ihn zu ersetzen.  Er beabsichtigen alle brauchbaren Möglichkeiten für die Große Maschine zu sammeln, um die Große Maschine wählen zu lassen.  <Click, click>  Man wählt nicht die Maschine, nein, nein, nein.  Die Maschine wählen dich.  <Click>”
      „Und eine dieser anderen Möglichkeiten ist ein Minbari?  Unmöglich.  Ich wurde beauftragt, diesen Planeten zu übernehmen und das werde ich auch....”  Sheridan machte eine Pause und sah zu G'Kar.  Der Narn machte eine Bewegung, die wahrscheinlich ein Achselzucken darstellte.
      „Captain?” fragte Commander Corwin.
      „Oh verdammt.  Lassen Sie die Starfury-Schwadronen starten und die vorderen Waffen geladen.  Schicken Sie eine Nachricht in Interlac ab, sagen Sie ihnen, daß wir Satai Delenn an Bord haben, und bringen Sie sie auf die Brücke.  Wenn sie auch nur in unsere Richtung blinzeln, dann zerstören Sie sie.”
      „Ja, Sir,” sagte Franklin.  „Und zum Dessert, Erdbeereis.”
      „Vanille, Lieutenant Franklin.  Ich hasse Erdbeeren.” Sheridan schaute zu G'Kar.  „Was nun?”
      „Das.”
      Sheridan sah dorthin, wohin G'Kar zeigte.  Seine Augen wurden größer.
      „Gütiger Gott.”

*    *    *    *    *    *    *

„Ich sage Ihnen, Alyt Kalain, wir werden dieses Schiff nicht angreifen!”
      Kalain blickte Draal scharf an.  Seine Geduld für den alten Mann war extrem begrenzt.  Diese Mission wurde für Sinoval ausgeführt, nicht für Draal und diesen absurden kleinen Fremden.  „Ich bin hier der Captain,” antwortete er schroff.  „Und meinen Befehlen wird Folge geleistet.”
      Seine Worte waren hart, aber sie konnten die Angst, die er fühlte, nicht verbergen.  Das war Sheridan, der Sternenkiller.  Kalain hatte, irrational in seiner Shande herumstochernd, Sheridans weitere Entwicklung seit dem Vorfall beim Mars verfolgt.  Die Beteiligung am Narn-Centauri-Krieg.  Die Zerstörung der Emphili und der Dogato.  Seine Gefangennahme auf Vega 7 und seine Flucht von Minbar selbst, zusammen mit Satai Delenn.
      Kalain war beides, erheitert und verängstigt.  Dies war seine Chance auf Erlösung, auf Buße für seine Feigheit beim Mars.  Aber dies könnte auch zu weiterer Schande und Niederlage führen.  Er wagte es nicht, weitere Schande zu riskieren.  Sheridan mußte jetzt zerstört werden.
      „Sie haben ihre Nachricht gehört,” gab Draal scharf zurück.  „Sie haben Delenn bei sich.  Sie werden ihr Leben nicht wegen Ihrer eigenen Rache aufs Spiel setzen.”
      „Sie haben gelogen.”
      „Sie wissen, daß sie das nicht haben.”
      „Nun, wenn Delenn bei ihnen ist, dann ist sie das freiwillig und ist daher eine Verräterin und unserer Sorgen nicht wert.”
      „Mathras!” schrie Draal.  „Kannst Du etwas tun?”
      „Mathras nicht, nein, aber Mathras kennen jemanden, der kann, ja.”
      „Halt Deine quasselnde Fresse!”
      „Fresse?  Mathras sein keine Fresse.  Mathras nicht einmal wissen, was Fresse sein.  Mathras....  Ah.  Sehen.  Mathras sagen ihnen, aber sie hören nicht auf Mathras.  Niemand hören je auf Mathras.  Nicht einmal Zathras hören auf Mathras.”
      „Was...?  In Valens Namen!”
      Vor ihm, leicht schimmernd, war das Abbild eines Fremden, den Kalain niemals zuvor gesehen hatte.  Auf den ersten Blick ähnelte er den Markab, aber es war ein Alter und eine Weisheit in seinen Augen, die zu keinem Mitglied dieser toten Rasse gehören konnte.
      „Grüße, Besucher,” sagte das Bild.  „Ich bin Varn, Behüter der Großen Maschine.  Es wird keine Gewalt über diesem Planeten geben.  Ihr wurdet alle zu einem bestimmten Zweck hierher gebracht und dieser Zweck ist, zu entscheiden, wer mich im Herzen der Maschine ersetzen wird.  Zathras und Mathras, meine Freunde, das habt Ihr gut gemacht.  Bringt Eure Auswahl zur Oberfläche und die Captains der Schiffe.  Sie müssen verstehen und davon künden, was hier passieren wird.  Sorgt Euch nicht um die Atmosphäre.  Ich habe sie so gestaltet, daß Ihrer beider Spezies sie atmen kann.
      „Und um es nochmal deutlich zu machen: jeder feindlichen Aktion einer Seite wird mit der Zerstörung des jeweiligen Schiffs begegnet.  Es wird hier keine Gewalt geben.  Weder ich noch die Maschine werden dies zulassen.”
      Das Bild verschwand und Kalain richtete einen scharfen Blick auf Draal und Mathras.  „Ihnen gesagt, Mathras haben getan.  Ja ja.  Ihnen gesagt, aber Sie nicht hören.  Niemand hören je auf Mathras.  Sehr trauriges Leben, ja, aber auch bedeutsam.  Ja ja.  Mathras sich nicht beschweren.  Mathras haben Zweck.”
      „Ich habe es Ihnen gesagt, Draal,” sagte Kalain.  „Machen Sie, daß er die Klappe hält.  Nun, Sie haben dieses.... Ding gehört.  Wir müssen zur Oberfläche gehen.”
      Und der Sternenkiller wird auch dort sein.

*    *    *    *    *    *    *

„Ich werde vielleicht nicht zurückgehen,” hauchte Sheridan, als er sich umsah.  „Das ist.... das ist.... Hah.  Ich glaube, ich muß erst ein Wort erfinden, um das hier zu beschreiben.”  Eine respektlose Anmerkung, aber wahr.  Es gab keine Worte, um zu beschreiben, was er um sich herum sah.  Der Gedanke, daß eine fremde Rasse dies erbaut haben konnte, es versteckt hielt und vor Eindringlingen verbarg und ihr Leben dort lebte, so tief im Planeteninnern.... das Ganze war atemberaubend.
      „Sein Große Maschine,” sagte Zathras.  „Sein sehr groß, nicht wahr?”
      „Das ist sie auf jeden Fall,” hauchte Sheridan.  Er sah zu seinem anderen Begleiter, aber G'Kar flüsterte leise vor sich hin.  Sheridan bemerkte ein Fragment eines Narn-Dialekts und er erkannte ein Gebet, wenn er eins hörte.
      Dann wurde sein Kommunikator aktiviert, und die Illusion war zerstört.  „Hier oben ist alles ruhig, Captain.”, meldete Corwin.  „Die Minbari scheinen keine feindlichen Bewegungen zu machen.  Wie auch immer, vor ein paar Minuten sahen wir ein Shuttle runtergehen.”
      Immer eine Schlange im Paradies.  „Danke, Mr. Corwin.  Lassen Sie es mich wissen, wenn sie irgendein Zeichen von Aggression zeigen.  Und.... beschützen Sie Satai Delenn.  Sheridan aus.”
      „Es werden keinen Kampf über uns geben, nein nein,” sagte Zathras.  „Sein gegen Varns Wünsche.  Kämpfen nicht sein gut.  Die Kunst des Kampfes sein, zu wissen, wann man kämpfen und wen man nicht bekämpfen sollen....  Ah, nein nein nein, bitte tun Sie Zathras vergeben.  Was Zathras eigentlich sagen wollen, sein, die Kunst des Kampfes sein, zu wissen, wen zu wann und kämpfen zu kämpfen....  Ah nein.  Das sein gar nicht gut.  Wen bekämpfen und wann zu bekämpfen wen nicht.  Ah, nein.  <Click, click>  Sie haben sehr seltsame Sprache.  Zathras nicht denken, er mögen diese Sprache.  Machen keinen Sinn.”
      „Gut gemacht,” beglückwünschte ihn Sheridan.  „Wir anderen haben mehrere hundert Jahre gebraucht, um das herauszufinden.”
      „Willkommen, meine Freunde,” sagte eine alte Stimme.  Sheridan bog um eine Ecke, während Zathras ihm stolpernd auf den Fersen blieb, und kam zu einem abrupten Halt.  Zathras krachte gegen die Rückseiten seiner Beine.
      „Sie das nicht wollen tun.  Sie hätten Zathras wenigstens eine Warnung geben können, aber nein.  Ignorieren Zathras.  Zathras nicht wichtig.  Nein, niemand nehmen auf Zathras Rücksicht.”
      „Aber Du bist wichtig,” sagte die Stimme.  Es war dieselbe Stimme, die ihn auf der Brücke der Babylon begrüßt hatte.  „Wir sind alle wichtig, Zathras, jeder auf seine eigene Art.  Und Grüße auch an Sie, Captain Sheridan, und Sie, Ha'Cormar'ah G'Kar.”  Der Narn preßte seine Fäuste als Gruß gegen seine Brust.  Sheridan starrte nur.
      Der Fremde sah nach nichts Besonderem aus.  Er ähnelte teilweise einem Markab, aber er war kleiner, und seine Gesichtsstruktur war etwas anders.  Seine Stimme klang auch leiser und weniger sicher als zuvor.  Physisch war Varn nicht sonderlich beeindruckend, andererseits sah nichts beeindruckend aus, wenn es mit der Masse an Maschinen und Lichtern und Farben verglichen wurde, die ihn umgaben.  Das Ganze war überwältigend und reichte unglaublich hoch in den Felsen, überall um sie herum.  Varn schien genauso Teil der Maschine zu sein wie die Drähte und Kabel, die ihn mit ihr verbanden.
      Varn - oder eher das Abbild Varns, welches einige Schritte von dem entfernt stand, was vermutlich sein Körper war - drehte sich um und nickte Sheridan kurz zu.  Sheridan drehte sich ebenfalls um.
      Es waren drei neue Gäste angekommen.  Einer sah genauso wie Zathras aus.  Die beiden anderen.... waren Minbari.
      Immer eine Schlange im Paradies.

*    *    *    *    *    *    *

„Aber Lieutenant Ivanova, sicherlich können Sie unseren Standpunkt hier verstehen!”  Präsidentin Marie Crane von der Widerstandsregierung war müde und hungrig, und sie wollte endlich schlafen.  Sie wollte nicht gegen die Hälfte ihrer eigenen Regierung und die Frau, die vor ihr stand, kämpfen.
      „Wir brauchen eine Bestätigung des guten Willens Ihrer Freunde.  Wir werden Verträge abschließen, Verhaltenskodexe und genaue Details von dem aufstellen müssen, was wir voneinander als vermeintliche Verbündete erwarten.  Sogar Handelsvereinbarungen.  Vielleicht sogar einen Botschafter.  Wir mußten bis jetzt alles, was uns mitgeteilt wurde, einfach aufgrund Ihres Wortes als wahr erachten.”
      „Und der Berichte Captain Sheridans,” sagte Ivanova schnell.
      „Nun ja, junge Dame,” sagte Vize-Präsident Clark etwas lauter,  „Captain Sheridan hat.... den Ruf, mit der Wahrheit in seinen Berichten irgendwie ziemlich sparsam umzugehen.”
      „Um ehrlich zu sein,” brüllte General Takashima.  „Er lügt uns oft richtiggehend an, und das, wenn er Lust hat, überhaupt etwas zu sagen.”
      „Wirklich?” fragte Ivanova.  „Ich dachte, er.... hätte einen besseren Ruf.”
      „Oh, wir haben den größten Respekt vor seinen Talenten,” sagte Clark unterwürfig.  Es gab immer noch ein paar Mitglieder der Widerstandsregierung, die Sheridan respektierten und darauf vertrauten, daß er seine Fähigkeiten und die Ressourcen zum Wohle der Menschheit einsetzte.  Aber nur wenige.  „Er ist ein Soldat, aber kein Diplomat oder Geheimagent.  Er wird eher.... durch die Umstände dazu gezwungen, Rollen zu spielen, die ihm fremd sind.”
      „Werden wir das nicht alle?” antwortete Ivanova.  Clark prustete und schaute Crane an, die sehr angestrengt versuchte, ein Lächeln zu unterdrücken.  In diesen Zeiten nahm man sich seine Freuden, wo man sie fand, und Clark gedemütigt zu sehen, war für den Moment genug Vergnügen.  „Und in Anbetracht der anderen Angelegenheiten, fürchte ich, daß meine Freunde keinen Botschafter schicken können.  Die Atmosphäre hier wäre für sie giftig, und sie sind nicht bereit, ihre Heimatwelt zu verlassen.  Es ist für sie ein sehr heiliger Ort.”
      „Können Sie uns wenigstens mit Ihnen in Verbindung setzen?” fragte Crane.  „Eine Art von.... Langstreckenkommunikation oder so?”
      „Ihre Technologie funktioniert nicht auf diese Weise.  Sie bevorzugen eine Art von.... Telepathie, könnte ich mir vorstellen.  Eine Verbindung mit einem Agenten, der Z'ha'dum verlassen kann.  Wie ich.  Alles, was Sie wissen müssen, kann ihnen direkt durch mich weitergeleitet werden.”
      „Telepathie,” sagte Clark.  „Vielleicht sollten wir Miss Alexander darum bitten, Sie einmal zu untersuchen.  Vielleicht entdeckt sie etwas Hilfreiches über diese Verbindung.  Ich habe gehört, Miss Alexander sei seit Kurzem unbeschäftigt, seit unser Minbari-Gast einfach weglief....”
      „Nein!” schrie Ivanova plötzlich.  „Keine Telepathen!  Nicht in meiner Nähe!”  Crane sah sie an, durch die Vehemenz ihrer Reaktion überrascht.  „Sie würden.... die Verbindung beschädigen.  Es ist eine sensible Angelegenheit.  Alles, was Sie wissen müssen, wird durch mich übermittelt, so, wie ich es gesagt habe.”
      „Ich habe eine Frage,” sagte Takashima.  „Wie sollen wir Ihre Alliierten nennen?  Sie haben doch einen Namen, nehme ich an?”
      „Ja,” sagte Ivanova langsam.  „Aber er ist zehntausend Buchstaben lang.”
      „Ouch,” sagte Clark.
      „Genau.  Ich kann Russisch sprechen, und selbst ich kann ihn nicht aussprechen.  Wenn Sie sie irgendwie nennen wollen.... Ich habe erfahren, daß der Minbari-Name grob übersetzt.... Schatten heißt.”
      „Schatten?” sagte Crane sanft.  Ein beunruhigender Name, welcher es auf den Punkt gebracht hätte.  Die Verbindung zwischen den Minbari und diesen Schatten schien sicherlich ein angemessener Grund für sie zu sein, sich mit der Widerstandsregierung zu verbünden.  „Schatten,” wiederholte sie. Der Name ließ sie frösteln und sie war sich sicher, daß sie ein Schimmern in Ivanovas Auge sah, jedesmal, wenn sie das Wort aussprach.
      „Mir gefällt es,” verkündete Clark.  „So, wie sehen Ihre Schatten nun aus?”
      „Ziemlich gewöhnlich,” sagte Ivanova.  „Ziemlich.... gewöhnlich.”

*    *    *    *    *    *    *

„Es kommt ein Krieg auf uns zu,” sagte Varn.  „Ein dunkler und schrecklicher Krieg, der die Himmel und Welten entzweireißen wird.  Milliarden werden sterben und ganze Imperien fallen, aber es gibt Hoffnung auf Frieden, große Hoffnung.  Es muß Hoffnung geben.  All Ihr, die ihr hier versammelt seid” sagte er, auf G'Kar, Sheridan, Draal und Kalain deutend, „wißt, genau oder nur vage, von diesem Krieg.
      „Einige von Euch,” sagte er, G'Kar anschauend, „glauben, daß sie auf das vorbereitet sind, was kommen wird.  Andere,” auf Kalain deutend, „bezweifeln ihren Wert und fürchten, wo sie am Ende stehen werden.  Wiederum andere,” auf Draal zeigend, „weigern sich, ihren Platz zuzugeben und wären überrascht zu erfahren, daß sie überhaupt einen Platz haben, während Sie,” auf Sheridan zeigend, „sich weigern, mit dem Kopf zu glauben, was Ihr Herz Ihnen sagt und mit dem Herzen nicht akzeptieren, was Ihr Kopf herausbrüllt.
      „Egal, was es kostet, der Krieg muß geführt und er muß gewonnen werden, oder jede selbständig denkende Rasse in der Galaxie wird in Tyrannei und Verzweiflung verfallen.  Es muß immer Hoffnung geben und Gerechtigkeit und Licht.  Diese Maschine wird Teil der Hoffnung sein, einen Teil der Gerechtigkeit bringen, sowie einen Teil des Lichts ausstrahlen.
      „Ich bin seit über fünfhundert Jahren hier und nun sterbe ich.  Während meiner Zeit habe ich Wissen gesammelt, bin zu weit entfernten Welten gereist und habe Dinge gesehen, die sowohl schrecklich als auch majestätisch waren.  All diese Erinnerungen und all diese Gedanken lagern im Herzen der Großen Maschine und nur die Maschine allein wird wissen, wer sie erbt.”
      Kalain war nur zur Hälfte an Varn interessiert und auch nur wenig mehr an dem Anblick um ihn herum.  Seine Aufmerksamkeit war auf den Sternenkiller gerichtet.  Kalain war überrascht.  Er hatte nicht erwartet, daß Sheridan so.... zerbrechlich aussah.  Kalain schätzte, daß ein einziger Schlag mit seinem Stab genug wäre, die Rippen des Menschen zu zerbrechen.  Sicherlich konnte das nicht die Kreatur sein, die für die Zerstörung der Dralaphi, für den Angriff bei Mars und für die Furcht Kalains, Alyts der Windschwerter, verantwortlich war?
      Und doch.... da war etwas in seinem Verhalten.... Sheridan war nicht als Sternenkiller hier.  Hier war er einfach ein Mann, ein Krieger, seiner Rüstung, seines Gewandes und seiner Klinge beraubt.  Er hätte ebenso nackt sein können.  Sein Schiff machte ihn zum Sternenkiller; es war genauso Teil von ihm, wie seine Arme, seine Beine und seine Kleidung.
      Und dann traf ihn die Wirkung von Varns Worten und er trat vor.  „Sie sagen, dieser Platz wird als Festung des Lichts genutzt?  Wer wäre dann besser geeignet, sie zu übernehmen, als diejenigen, die die Armee des Lichts gegen die Dunkelheit anführen werden?  Die Rangers taten dies tausend Jahre zuvor und werden es auch jetzt tun.  Satai Sinoval, mein Führer, wurde, in die Fußstapfen Valens tretend, zum Entil'zha ernannt und in seinem Namen beanspruche ich diesen Ort.”
      „Nein,” schnarrte Varn.  „Sie können diesen Planeten nicht beanspruchen.... Der Planet.... beansprucht.... Sie....”
      Aber seine Worte wurden nicht gehört, ausgenommen vielleicht von G'Kar und Draal, die allein ihn verstanden.  Kalains Blick war auf Sheridan gerichtet und auf die Zukunft und den Ruhm, der ihm zuteil werden würde, wenn er zu Sinoval zurückkehrte, mit Neuigkeiten von diesem Ort....Ruhm genug, seine Schande wieder gutzumachen.
      Und Sheridan.... auch er hörte Varn nicht zu.  „Zur Hölle, das werden Sie nicht!” fauchte er.  „Wir nahmen diesen Planeten vor zwei Jahren während einer Erkundungsmission in Besitz.”
      „Oh?  Und wonach genau haben Sie Ausschau gehalten?”
      „Das geht Sie nichts an!”
      G'Kar langte nach Sheridan, nahm seinen Arm dann jedoch runter.  Kalain sah den Narn an und schnaubte.  Dieser eine kleidete sich selbst als Krieger, war jedoch eher ein Redner.  Narn hatten kein Gefühl dafür zu tun, was getan werden mußte.  Das hatten nur die Minbari, nur die Krieger, nur Sinoval.  Draal wollte etwas ähnliches tun, aber Kalain schob ihn zur Seite.  Das Feuer der Rache brannte in ihm.
      Varns Bild erschütterte, hustend und prustend.  „Zu lange,” flüsterte er.  „Zu.... viel....  Helft mir.”
      Zathras hatte die wachsende Auseinandersetzung in der Mitte des Raumes verlassen - unbemerkt, von allen außer Mathras, der mit ihm ging - und eilte zu der Höhle, in der Varns Körper ruhte.  Als er voranschritt, löste sich das Bild auf und verschwand vollkommen, und Varns Körper, der zuvor bewegungslos gewesen war, begann, sich zu bewegen.  Der alte Fremde starb.
      Kalain fühlte, wie der Boden unter ihm schlingerte.  „Ein Trick!” fauchte er.  „Sie, Sternenkiller, sind ohne Ehre!”  Nun, wenigstens kam seine Chance auf Erlösung.  Der Beifall würde riesig sein, wenn er zur Trigati zurückkehrte, Sheridan in Ketten hielt und ihn dann vor den Grauen Rat führen würde.  Er würde seine Erlösung verdienen und seine Vergebung, beides, in Sinovals und seinen eigenen Augen.  Und danach.... es gab da eine freie Position im Grauen Rat.  Was wäre, wenn Delenns Ersatz nicht aus der religiösen Kaste kam?  Sie hatten den Rat schon zu lange dominiert.  Satai Kalain.  Es klang schön.
      Sheridan bewegte sich auch.  Zum sterbenden Fremden.  G'Kar war neben ihm, aber niemand bewegte sich sehr schnell.  Der gesamte Planet erschütterte.
      „Kalain,” brüllte eine Stimme aus seinem Kommunikator.  Es war Alyt Deeron, sein Gehilfe und erster Offizier.  „Die Erdlinge haben auf uns geschossen, irgendeine Rakete.”
      „Zermalmt sie!” befahl er als Antwort.  „Zerstört sie alle!”  Ja, Satai Kalain.  Oder vielleicht Shai Alyt Kalain.  Ja, so konnte er führen, würde respektiert werden und es wäre ihm gleichzeitig möglich, noch als Kommandant in die Schlacht zu ziehen.  Die Erdlinge würden bald zermalmt sein und er würde gegen sie ins Feld führen, jede Schande vergangen, jede Buße getan, jede Vergebung gewährt.
      „Nein!” schrie Zathras.  „Nein, das nicht sein gut.  Varn sterben.  Wenn Varn sterben, der Planet auch sterben.  Die Maschine brauchen ein Herz, oder die Maschine und der Planet sterben und wir alle sterben.  Alle Selbstverteidigungsanlagen schalten sich ein.  Automatische Verteidigung ist aktiviert.  Menschen nicht angreifen.  Sein Unfall!  Unfall!”
      Zathras wußte fast genauso viel über die Große Maschine wie Varn.  Er wußte auch, daß der Erd / Minbari-Krieg durch genauso einen Unfall ausgelöst worden war, und nun schien es, als ob ein zweiter Unfall den Krieg in ein neue Etappe stürzen würde.
      „Nein,” flüsterte Varn.  „Nicht kämpfen.... nicht....”
      Kalain hörte weder ihn noch Zathras.  Shai Alyt Kalain.  Ja, seine Vision der Zukunft würde in jeder Hinsicht richtig sein.
      Jeder Aspekt, außer einem.  Sheridan würde dem Grauen Rat nicht als Gefangener sondern als Leiche präsentiert werden.



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