Band 1:  Die andere Hälfte meiner Seele Teil II:  Die Warnung


Die Warnung



Kapitel 1


ES war der Anbruch des dritten Zeitalters der Menschheit, ein Anbruch, den wir, wie es schien, nicht überleben würden.  Zehn Jahre lang waren wir eine ausgestoßene Rasse gewesen, unsere Heimatwelt war zerstört, unsere Leute in alle Richtungen zerstreut.  Zehn Jahre lang bestand unsere einzige Hoffnung aus einem Schiff, und aus einem Mann, und unsere einzige Hoffnung war überhaupt keine Hoffnung, denn wir waren schwach und die Minbari waren stark.
      Und dann kam eine ältere Rasse, mächtiger als in unseren wildesten Träumen.  Kostenlos boten sie uns ihre Hilfe an, aber wir verstanden nicht, daß der größte Preis derjenige ist, der am geringsten scheint, und daß der freimütigste Verbündete die meisten Geheimnisse zu verbergen hat.
      Und wenn das Schicksal der Menschheit auf Messers Schneide steht, wer kann sich sicher sein, wer Freund und wer Feind ist?  Unsere größte Hoffnung könnte unser größtes Leid werden, und unser größter Feind unser größter Freund.
Commander David Corwin, persönliches Tagebuch.

*    *    *    *    *    *    *

„G'Quan schrieb in seinem Buch:  Es gibt eine größere Dunkelheit als die, die wir bekämpfen.  Es ist die Dunkelheit der Seele, die von ihrem Weg abgekommen ist.  Der Krieg, den wir führen, richtet sich nicht gegen Großmächte oder Herrscher, sondern gegen Chaos und Verzweiflung.  Viel schwerwiegender als der Tod der körperlichen Materie ist der Tod der Hoffnung, der Tod der Träume.  Und vor dieser Gefahr dürfen wir niemals kapitulieren.”
      Der Narnprediger blickte auf seine versammelte Gemeinde und fühlte eine kurze Woge der Dankbarkeit.  Daß so viele so weit kommen würden, nur um ihm zuzuhören, um seinen Worten zu lauschen, veranlaßte ihn, sich dankbar zu fühlen.  Hier konnte er einen Unterschied bewirken.  Hier konnte er den ersten Schritt auf dem langen Weg zur Erlösung seines Volkes beginnen.
      „Zu lange waren wir vom Tod besessen gewesen.  Besessen, bis der Tod alles war, was wir sehen konnten, und der Tod war alles, was wir verdienten.  Unsere Trauer und unser Verlust schleppen sich hinter uns wie Fesseln, die wir selbst geschmiedet haben.  Die Centauri haben uns in Fesseln aus Eisen gehalten, wir aber halten uns selbst in Fesseln des Hasses.  Bis wir diese Fesseln, diesen Teufelskreis aus Haß, Zorn und Trauer brechen können, werden wir vom Tod besessen bleiben, und der Tod wird alles sein, was wir verdienen, und der Tod wird alles sein, was wir erreichen werden.  Es wird nicht einfach sein.  Nichts, das sich lohnt, ist es jemals, aber wir müssen immer auf den Augenblick hoffen, den einen strahlenden, einzigartigen, heiligen Augenblick der Erleuchtung, der uns die Zukunft unseres Volkes zeigt.
      „Die Zukunft ist überall um uns herum.  In der Phase des Übergangs wartet sie darauf, in der Phase der Erleuchtung neu geboren zu werden.  Niemand weiß, wie die Zukunft aussieht, und wohin sie uns führen wird.  Nur eines wissen wir:  Sie wird stets unter Schmerzen geboren.  G'Quan möge uns segnen.”
      Der Narnprediger hob seinen Kopf und starrte in den nächtlichen Himmel über seiner Heimatwelt.  Dieser Sternenhimmel hörte niemals auf, ihn an seinen eigentlichen Zweck zu erinnern, und an seine wahre Bedeutung.  Einst hatte er diese Sterne durchstreift, aber jetzt war er hier, zurückgekehrt zum grünen Boden seiner Heimatwelt.  Mag sein, daß die Centauri sie in Ruinen zurückgelassen hatten, aber Narn besaß eine Seele, die niemals verloren gehen konnte, nicht solange eines seiner Kinder daran glaubte.
      Nach der Predigt mußte der Narn einige derer begrüßen, die die lange Reise unternommen hatten, um ihm zuzuhören.  Viele hatten geweint, und ihn gebeten, sie zu segnen.  Er hatte mit den Worten abgelehnt, daß sie sich selbst segnen müßten.  Er hatte Worte des Trostes gespendet, und Worte des Mitleids und Worte, die ihr Leben für immer verändern würden.  Zuerst waren nur wenige gekommen, mehr durch seinen Ruf und seine Geschichte als durch seine Worte oder Weisheit angezogen, aber nun kamen mehr, und jeder von denen, die kamen, verbreitete das Wort seiner Lehren, und immer mehr kamen.  Er hatte Feinde, das wußte er, aber politische Feindschaften spielten keine Rolle angesichts des Angriffs, der kommen würde, und der Erlösung, die ihn verhindern würde.
      Schließlich, mit dichtem Nachthimmel über ihm, kehrte der Narn in sein Quartier zurück.  Es war einfach und unmöbliert.  Nur ein Feldbett, ein Steintisch, ein Kerzenständer und eine Kopie des Buchs des G'Quan, die ihm sein Großvater gegeben hatte, der gestorben war, ohne jemals Freiheit für Narn gesehen zu haben.
      Und dort warteten zwei Leute.
      „Das war eine bewegende Ansprache, Ha'Cormar'ah G'Kar,” sagte der erste.  Ein Narn.  Sein Begleiter blieb still, sein Kopf gesenkt.
      G'Kar nickte zur Begrüßung und begann, die Kerzen anzuzünden, und fühlte, wie das Licht von jeder einzelnen seine Seele erfüllte.  Als er am Buch des G'Quan vorbeiging, berührte er es ehrfürchtig.  Erst als alle Kerzen angezündet waren, drehte er sich endlich zu seinen zwei Begleitern - und besten Freunden - um.
      „Es ist schön, dich wiederzusehen, Ta'Lon.  Die Galaxie wird heutzutage immer gefährlicher.  Welche Neuigkeiten bringst du?”
      „Keine guten, Ha'Cormar'ah G'Kar.”  G'Kar seufzte leise wegen des Titels.  Allerheiligster.  Er hatte Ta'Lon gebeten, ihn nicht zu benutzen, aber der Mann war engstirnig.  „Sheridan, der Sternenkiller, wurde auf Vega Sieben verraten und von Mitgliedern des Minbariclans der Windschwerter gefangengenommen.  Er wurde in Fesseln nach Minbar gebracht.”
      „Großer G'Quan,” hauchte G'Kar.  „Verraten?  Von Na'Far?”
      „Ja,” antwortete Ta'Lon.  „Von Administrator Na'Far.  Aber irgendwie gelang es Sheridan, von Minbar zu fliehen.  Unsere Agenten konnten nicht herausfinden, wie, außer, daß es bemerkenswert einfach für ihn war.  Eine vom Grauen Rat - Satai Delenn - verschwand zur gleichen Zeit.  Die Berichte unserer Agenten auf Minbar scheinen geteilt.  Die einen sagen, daß Sheridan sie gefangengenommen hatte, die anderen, daß sie ihm geholfen hatte zu fliehen und mit ihm ging.  Keiner scheint sich sicher zu sein, aber - und das ist sicher - der Graue Rat ist nun mehr von Kriegern beherrscht als jemals zuvor.  Ohne Satai Delenns Widerstand wird Satai Sinoval, Führer des Windschwerterclans, bestimmt zum Ranger Eins ernannt werden, und vielleicht sogar zum Allerheiligsten, wenn die Trauerzeit für Dukhat erst einmal geendet hat.”
      „Ich habe von diesem Sinoval gehört.  Und mir gefällt nicht, was ich gehört habe.”
      „Sinoval ist ein ambitionierter Mann,” sagte die dritte Person und brach damit ihr Schweigen.  „Ich habe ihn gut gekannt.  Er glaubt aufrichtig, daß er die richtige Person ist, um den Kampf gegen den Feind zu führen, und vielleicht ist er es sogar, bei allem, was wir wissen.  Er ist erfahren, intelligent und beliebt, aber er ist auch eitel, arrogant und zu allem entschlossen.  Er wird sich gegen das stellen, was wir hier aufgebaut haben, dessen könnt ihr euch sicher sein.  Er wird vielleicht sogar verlangen, daß wir ihm Treue schwören.”
      „Und wirst du es tun?” fragte G'Kar.
      „Ich habe geschworen, an deiner Seite zu bleiben, Ha'Cormar'ah G'Kar,” sagte Ta'Lon einfach.  „Bei dir und deinem Traum.”
      „Ich ebenso.”
      „Ich danke euch für eure Treue und bete, daß ich ihrer würdig bin.  Gibt es sonst noch etwas?”
      „Ja, Ha'Cormar'ah G'Kar.  Sheridan ist nach Vega Sieben zurückgekehrt, um zweifellos zu erfahren, warum er dort verraten wurde.  Was er herausfand... wir sind uns nicht sicher.  Wir haben von unseren dortigen Agenten keine Nachricht mehr bekommen, und keiner war seit über vier Tagen in der Lage gewesen, Vega Sieben durch Kommunikationskanäle zu erreichen.  Die letzte Nachricht, die wir empfangen haben, besagte einfach: ‚Es wacht auf’.  Die gesamte Kolonie wurde zerstört, ebenso wie zwei Minbari-Kriegsschiffe über dem Planeten.”
      „Sheridan?”
      „Nein,” sagte der dritte.  „Sheridan ist ein erfahrener Krieger, aber nicht so erfahren.  Der Feind ist nach Vega Sieben zurückgekehrt und hat das Schiff zurückgeholt, das sie dort vor Jahrhunderten versteckt hatten.”
      „Also agieren sie schneller, als wir gedacht hatten, und sie müssen in der Tat sehr zuversichtlich sein, um einen Angriff wie diesen zu riskieren.”
      „Dazu braucht es wenig Zuversicht, Ha'Cormar'ah G'Kar.  Es gibt keine Beweise, daß sie es waren.  Der Kha'Ri glaubt, es waren die Centauri.  Die Erdlinge glauben, es waren die Minbari.  Die Minbari glauben, es war Sheridan.  Den Centauri.... ist es egal.”
      „Aber sie sind im Anmarsch, schneller und stärker als jemals zuvor.  G'Quan möge uns helfen.  Und die Entwicklung bezüglich Sheridan.... Ich mag sie nicht.  Sheridan wird mehr und mehr zu einer treibenden Kraft in dieser Galaxie.  Ob nun zum Guten oder zum Schlechtem, weiß ich nicht.”
      „Willst du, daß wir ihn kontaktieren, Ha'Cormar'ah G'Kar?” fragte Ta'Lon.  „Sollen wir ihn vielleicht hierher bringen?”
      „Noch nicht.  Wir wissen zu wenig über ihn, abgesehen von seinen Fähigkeiten.  Nein, wenn er hierher kommen will, dann soll es so sein, aber wir können nicht riskieren, ihn auf das, was wir hier aufbauen, aufmerksam zu machen, wenn seine Sympathie beim Feind liegt.  Ich denke, unser größte Sorge betrifft seinen Verrat.  Ich kannte Na'Far, und er hätte so etwas nicht getan, nicht ohne Befehl.  Das kam vom Kha'Ri, darauf würde ich mein Auge verwetten.  Findet heraus, wer und warum.  War es einfach Geld, oder etwas Tieferes?  G'Quan möge Euch beide segnen.”
      „G'Quan möge dich segnen, Ha'Cormar'ah G'Kar.”
      „Geh mit Valen,” sagte der dritte und zog die Kapuze seines schwarzen Kriegerkaste-Umhangs zurück.  Der Anblick eines Minbari auf Narn war selten, aber dieses war ein seltener Minbari.  „Die Ranger auf Minbar sollten unsere größte Verteidigungsfront gegen den Feind sein, und unter Branmer waren sie es auch, aber Branmer ist fort, und die Ranger sind mit ihm verschwunden.  Die Ranger, die wir hier geschaffen haben, dürfen nicht versagen.  Valen möge mit dir sein, G'Kar, und möge Valerias Segen auf dich fallen.”
      „Und auf dich, Neroon.”
      Beide gingen, und G'Kar blieb allein zurück.  Nein, nicht allein.  Er war niemals allein.  Er hatte sein Buch, und seine Träume, und die Seelen von einer Milliarde Narn, um ihn zu führen.
      Und er hatte noch etwas anderes.
      „Sind Sie hier?” fragte er sanft.  Der Vorlone bewegte sich und kam ins Blickfeld.  Als G'Kar seine Augen hob, öffnete sich der Schutzanzug des Vorlonen.  G'Kar lächelte sanft.  „G'Lan,” hauchte er.

*    *    *    *    *    *    *

„Wer sind Sie?”
      „Ich bin Delenn.”
      „Vom Grauen Rat?”
      „Ja.”
      „Welcher Clan?”
      „Mir.”
      General Hague saß angelehnt an die Wand gegenüber der Minbari-Gefangen und verfolgte wortlos das Verhör.  Er hörte niemals auf, über Sheridans Glück zu staunen, nicht seit der Verteidigung von Orion 7, wo Sheridan ihn und andere aus der Widerstandsregierung gerettet hatte, aber das.... das überraschte beinahe sogar Hague.  Sheridan war von den Minbari gefangen genommen und zu ihrer Heimatwelt gebracht worden.  Und er war von dort geflohen, im Schlepptau mit einer Minbari-Gefangenen - und dazu ausgerechnet einem Mitglied des berühmten Grauen Rates.  Vielleicht hatte Sheridan letztendlich der Menschheit die Mittel gebracht, diesen unfruchtbaren Felsen auf Proxima 3 zu verlassen und wieder ihren rechtmäßigen Platz in der Galaxie einzunehmen.  Vielleicht konnte diese zarte Minbarifrau mit den Augen aus Feuer den Weg zur Wiederherstellung der Menschheit bahnen.
      Und sie würden Sheridan dafür danken müssen.
      Erneut.
      Und dann war da noch Sheridans anderer Gast, und das Versprechen auf Verbündete.  Hague war sich diesbezüglich noch immer unsicher, aber er gehörte zu einer eindeutigen Minderheit.
      Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder auf das Verhör.  Delenn starrte direkt in die Augen ihres Befragers, eines Sicherheitsoffiziers namens Welles.  Hague war überrascht, daß Welles seinen Blick bis jetzt noch nicht abgewandt hatte.  Das Feuer, das aus Delenns Augen strömte, hätte jeden veranlaßt, sich abzuwenden, aber Welles erwiderte ihren Blick ruhig.  Da war etwas Seltsames an der Art, wie Delenn auf Welles reagierte.  Fast, als würde er sie an jemanden erinnern.
      „Nennen Sie mir die anderen Mitglieder des Grauen Rates.”
      Stille.
      „Nennen Sie mir die anderen Mitglieder des Grauen Rates.  Ich glaube, es gibt insgesamt neun von Ihnen.”
      „Wir sind neun, geformt von Valen vor tausend Jahren, um Frieden und Ordnung nach Minbar zu bringen.  Wir stehen zwischen der Kerze und dem Stern, zwischen der Dunkelheit und dem Licht.”
      „Sehr hübsch,” betonte Welles.  „Aber Sie haben meine Frage nicht beantwortet.  Nennen Sie mir die anderen Mitglieder des Rates.  Acht Namen.  Diese Frage ist doch sicherlich einfach genug?”
      Stille.
      „Das reicht,” sagte Hague.  „Sie ist stur.”
      „Sie wird zusammenbrechen.  Vertrauen Sie mir.”  Hague wußte, daß Delenn Englisch sprach, und so waren er und Welles auf eine andere Erdsprache - Deutsch - ausgewichen, in dem Versuch, sie zu verwirren.  Hague sprach ausreichend Deutsch und Welles.... er konnte alles fehlerlos.  „Alles, was wir brauchen, ist Zeit, und ein wenig Überredung.”
      Hague warf einen Blick auf Delenn, die so unbeweglich wie eine Statue schien.  Eine Statue mit brennenden Augen.  Sie hatte einen blauen Fleck unter ihrem linken Auge.  „Keine Folter.  Wir können es uns nicht erlauben, sie zu töten.  Es gibt einen anderen Weg.”
      „Sie?”
      Er nickte. „Sie mögen sie nicht?”
      „Ich traue ihr nicht.  Da gibt es einen Unterschied.  Ich traue keinem von ihnen.  Als das Psi Corps noch existierte, waren sie wenigstens unter Kontrolle.  Nun sind sie alle freie Mitarbeiter.”
      „Keiner von uns ist frei.  Nicht, solange die Minbari leben.”
        Die Tür öffnete sich, und Hague drehte sich um.  Drei Leute traten herein.  Einer war ein Sicherheitsmann, der die beiden anderen hinein führte, und dann wieder heraustrat.  Der zweite war Sheridan, der Mann, den die Minbari Sternenkiller nannten, größter Held seiner Generation.  Und die dritte Person....
      „Lyta Alexander, Telepathin der Stufe 5,” sagte Welles förmlich.  „Willkommen.”
      Sie blickte auf Delenn und Hague nickte.  Welles gab widerwillig seinen Sitz auf, und Lyta nahm darauf Platz.  „Geben Sie mir einen Augenblick, um mich vorzubereiten.”
      Hague nickte erneut, und wandte sich zu Sheridan.  Der Sternenkiller starrte auf Delenn mit einem Feuer in seinen Augen, das sogar ihrem ebenbürtig war.  „Schön, Sie zu sehen, Captain,” sagte Hague auf Englisch.  „Wurden Sie von unseren Ärzten untersucht?”
      „Ich wurde bereits von Dr. Kyle an Bord der Babylon untersucht.  Es geht mir gut, General.  Wie läuft das Verhör?”
      „Langsam.  Minbari sind bestenfalls stur.  Miss Alexander sollte hoffentlich in der Lage sein, etwas herauszufinden.”
      „Wir werden sehen.”  Sheridan wurde still und drehte sich zu Delenn.  Hague konnte fühlen, wie etwas aus Sheridan ausströmte, etwas, das dort zuvor noch nicht da gewesen war, oder zumindest nicht in diesem Ausmaß.  Haß.  Gegen Hague selbst gerichtet?  Hague hatte Sheridans ersten Offizier - Commander David Corwin - befohlen, nichts zu unternehmen, um Sheridan von Minbar zu retten, ein Befehl, dem Corwin nicht gehorcht hatte, eine Tat, für die ihn Hague nicht bestrafen würde.  Die Babylon war das letzte schwere Kriegsschiff, das der Widerstandsregierung zur Verfügung stand, und sie durfte nicht für ein Selbstmordkommando riskiert werden, aber dennoch... gab Sheridan ihm die Schuld, diesen Befehl gegeben zu haben?  Haßte Sheridan ihn deswegen?
      „Wonach soll ich suchen?” fragte Lyta.  Sie hatte ihre schwarzen Handschuhe ausgezogen und starrte nun mit einem Ausdruck höflichen Interesses auf Delenn.  Für Lyta war das ein Auftrag wie jeder andere.  Sie besaß keinen Haß, keine Sorge, keinen Schmerz.  Nur... den Wunsch, zu dienen, tief in ihr durch das Psi Corps verwurzelt, als es noch existiert hatte.  Bevor die Minbari es zerstört hatten, wie sie es mit allem anderen getan hatten.
      „Alles, was mit dem Grauen Rat zu tun hat,” sagte Hague.  „Nichts Besonderes.  Wir wollen nur einen Ansatzpunkt.  Sie hat sehr viele Informationen, die wir brauchen, und mit der Zeit werden wir alle bekommen.”  Ein kleiner Riß in Delenns eisiger Gelassenheit?  Wenn ja, dann war er beinahe unmerklich.  „Fangen Sie an, wenn Sie bereit sind.”
      Lyta nahm einen tiefen Atemzug und schoß ihre Augen.  Sie griff hinaus und legte eine Hand auf Delenns Stirn, eine Handlung, die die Minbari nicht zu bemerken schien.  Ihre Augen waren jetzt ebenfalls geschlossen.  Lytas Atmung blieb langsam und gleichmäßig.
      „Sie wehrt sich,” sagte Lyta.  „Sie besitzt viel.... Stärke.  Minbari tun das oft.”
      „Versuchen Sie es weiter,” sagte Hague sanft.
      Er konnte nicht widerstehen, seinen Blick von dieser stillen Szene zu lösen, um auf Sheridan zu blicken.  Der Sternenkiller schaute einfach nur zu, unbeweglich wie Marmor.
      „Ich sehe etwas,” flüsterte Lyta.  „Neun Säulen aus Licht.”
      „Das sind sie,” sagte Sheridan.  „Ich wurde vor diesem Grauen Rat festgehalten.”
      „Sie streiten sich.  Da ist.... ein Dreieck.  Sie.... denkt daran.  Sie wehrt sich.  Heftig.  Ich.... denke.... Branmer tot.... Entil'zha.... die Ranger.  Sie.... oh mein Gott.  Oh mein Gott!  Der Feind.  Sie kommen!  Schwarz und furchtbar und.... berührt!”  Das letzte Wort kam heraus wie eine Klage, und Lytas Kopf schoß zurück.  Sie riß ihre Hand von Delenns Stirn, als hätte sie sich verbrannt, und blickte auf sie mit Entsetzen.
      „Was haben Sie gefunden?” fragte Hague.
      „Ich bin mir nicht sicher.  Es war zu.... unklar.  Da gibt es eine Art Machtkampf innerhalb des Grauen Rates.  Sie repräsentiert eine Seite, und sie streiten über etwas namens die Ranger.  Sie befürchtet, daß ihr Gegner nun deren Anführer wird.”
      „Wer sind diese Ranger?” fragte Hague.  „Ich habe noch nie von ihnen gehört.”
      „Eine Art Elitearmee,” entgegnete Sheridan.  „Teils Krieger, teils Priester, teils Geheimagenten.”
      „Aufgestellt gegen uns?”
      „Möglicherweise,” antwortete Sheridan.  Er schien verwirrt.
      „Würden Sie mir bitte sagen, warum ich über diese Ranger nicht informiert wurde?”  Sheridan sah ihn einfach nur an, und Hague drehte sich weg.  „Sonst noch irgend etwas, Lyta?”
      „Ich weiß nicht.  Einzelteile.  Ich werde darüber nachdenken, und ich werde mich ausruhen müssen, bevor ich das noch einmal machen kann.”
      „Geht in Ordnung.  Wir haben Zeit.  Mr. Welles, die Gefangene gehört Ihnen.”
      Lyta erhob sich von ihrem Platz und nahm ihre schwarzen Handschuhe.  Sie zog sie langsam an und folgte Hague, als er dem Raum verließ.  Auf eine Art Impuls hin drehte sich Hague um und blickte auf Sheridan.  Der starrt noch immer auf Delenn.  Und auch sie hatte sich umgedreht, um ihn anzublicken.  Ein... Bitten lag in ihren Augen.  Einen Augenblick lang sah es so aus, als ob er etwas tun wollte, aber dann drehte er sich um und ging weg.
      „Nun,” hörte Hague Welles sagen.  „Erzählten Sie mir etwas über die anderen Mitglieder des Grauen Rates.”
      Ein Mann wartete außerhalb des Raumes, ein hochgewachsener Mann mit langen Haaren und einem kurzen, schwarzen Bart.  „Ihre Wachen wollten mich nicht hineinlassen,” sagte er in einem englischen Akzent.  „Ich habe geschworen, ich würde Sie nie aus meinen Augen lassen, Captain.  Wie kann ich diesen Schwur erfüllen, wenn Sie mich nicht in Ihre Nähe lassen?”
      „Es tut mir leid, Marcus,” sagte Sheridan.  „Ich wollte bloß.... allein sein, das ist alles.”  Hague blickte auf den Mann - Marcus? - und bemerkte einen harten Blick, der Sheridan anstarrte, aber auch etwas hinter diesem Blick, wie ein wildes Tier, das darauf wartete, freigelassen zu werden.
      Alle vier gingen dann langsam durch die Korridore des Regierungsgebäudes zu Hagues persönlichem Büro.  Als sie hineingingen, blickte Hague scharf auf Marcus.  Hague hatte den Mann noch nie zuvor gesehen, und Sheridan war bekanntermaßen ausweichend in seinen Berichten, aber Sheridan traute ihm offensichtlich, und es würde schwer sein, ihn loszuwerden.  Hague warf einen Blick auf Lyta.  Ihr konnte man vertrauen, und es war niemals ratsam, Geheimnisse vor einem Telepathen zu haben.  Es war Zeit, auf ein Thema zu sprechen zukommen, das Hague persönlich nicht mochte.
      „Also Captain.  Was halten Sie von unseren neuen Verbündeten?”
      „Susans außerirdischen Freunden?  Ich weiß nicht recht.  Dennoch brauchen wir Verbündete, und diese sind mächtig.  Sehr mächtig.”
      „Vielleicht.  Was halten Sie von Susan selbst?  Vertrauen Sie ihr?”
      „Vertrauen?  Ja, ich glaube schon.  Sie half mir bei der Flucht von Minbar, und Commander Corwin kennt sie und vertraut ihr.  Ich dachte, Sie würden sie kennen?”
      „Ich kannte sie.  Vor ein paar Jahren war sie bei General Franklins persönlichem Stab.  Sie war Teil der Babylon Zwei-Mission - Erforschungen der Randzone, und solche Dinge.  Sie verschwand dort.  Wir dachten, sie wäre tot.”
      „Offensichtlich ist sie es nicht.  General, alle Einzelheiten, die Sie benötigen, sollten in meinem Bericht sein.”
      „Ja.  Ich habe ihn gelesen.  Er war sehr.... erfinderisch.  Falls Ihnen meine Worte nichts ausmachen, aber Sie scheinen in diesem Punkt seltsam.... zurückhaltend zu sein, Captain.”
      „Ich weiß auch nicht.  Es ist nur...”  Sheridan hielt inne und schloß langsam seine Augen.  „Es ist nichts.  Sie kennen mich, General.  Ich bin immer paranoid.”
      „Ja, Captain.  Ich kenne Sie.  Also, war für Pläne haben Sie jetzt?”
      „Ich würde gern mit der Babylon zur Narnheimatwelt fliegen.  Selbstverständlich nur, wenn das die Zustimmung der Widerstandsregierung findet.”
      Sarkasmus.  Eine so wunderbare Sache.  Als ob Sheridan hier bleiben würde, wenn ihm Hague keine Erlaubnis gäbe.  „Sie wissen, daß ich Ihnen nicht erlauben kann, Ihr Schiff bei einer persönlichen Vendetta gegen die Narn aufs Spiel zu setzen, Captain.”
      „Das hatte ich nicht vor.  Der Kha'Ri muß über den Vega Sieben-Zwischenfall unterrichtet werden durch jemanden, der dort war.  Durch mich.... und Marcus.  Wenn sie glauben, daß die Kolonie von den Minbari angegriffen wurde, werden sie sich vielleicht entschließen, uns endlich doch richtige Hilfe anzubieten.”
      „Und wenn Sie zufällig herausfinden sollten, wer den Befehl gab, Sie gefangen nehmen zu lassen, wäre das dann nicht ein glücklicher Zufall?  Also gut, Captain.  Ich weiß, daß ich wenig tun kann, um Sie aufzuhalten, aber bitte machen Sie sich den Kha'Ri nicht zum Gegner.  Wir werden hier schließlich nur geduldet.”
      „Das werde ich nicht.”
      „Gut.  Wann werden Sie also aufbrechen?”
      „Sobald die Reparaturen auf der Babylon komplett sind.  In ein paar Tagen, schätze ich.  Ich würde Miss Ivanova gern mitnehmen.”
      „Wirklich?  Sie wird in den nächsten paar Tagen bei Treffen mit der Widerstandsregierung sein, um alles für Verträge und Übereinkünfte zwischen uns und ihren Freunden in die Wege zu leiten.”
      „Sie bat, mitzukommen.”
      „Oh?  Gut, ich bin sicher, daß ich das einrichten kann, Captain.  Gut.  Sie wollen sich vielleicht bei Anna melden, während Sie hier sind.”  Da war ein Aufblitzen von Qual in Sheridans Gesichtsausdruck, und Hague lächelte beinahe.  Der Sternenkiller war nicht so unverwundbar, wie die Leute vielleicht glaubten.  Jeder hatte seine Achilles-Ferse.  „Sie hat oft nach Ihnen gefragt.”
      „Ich werde.... dafür Zeit finden.  Guten Tag, General.”
      „Captain.”
      Als Sheridan und Marcus sein Büro verließen, sah Hague Lyta auf ihn zukommen.  Sie sah immer noch ein wenig mitgenommen aus, aber da war ein neuer Schwung in ihren Schritten.  „General, wissen Sie, wer der Mann bei Captain Sheridan war?”
      „Nicht mehr als Sie.  Sein Name ist Marcus, und er war der einzige Überlebende des Vega Sieben-Massakers.  Warum?”
      „Oh, nichts.”  Sie lächelte, verschlagen und im Geheimen.  „Überhaupt nichts.”

*    *    *    *    *    *    *

„Sie will mich nicht sehen.  Will nicht einmal wissen, daß ich hier bin.”
      „Er starb einfach.  Einfach unter mir weg.”
      „Sie weiß nicht einmal, daß ich hier bin.”
      „Das Leben wich einfach aus ihm.  Einfach so.”
      „Wir waren jahrelang zusammen.  Sie gab mir einen Kuß, als sie zurückkam.”
      „Er was ein Freund, ein weiterer Freund, den ich nicht retten konnte.”
      „Einen richtigen Kuß.  Sie hat mir immer gesagt, daß sie mich liebt.  Was hat sich verändert?”
      „Ich habe Gott in seinen Augen gesehen.  Er schien so ängstlich.”
      „Sie will nicht mit mir sprechen, will nicht in meine Nähe kommen.  Ich meine, wir waren beschäftigt, aber sicherlich könnte sie etwas Zeit finden?”
      „Ich habe Gott gesehen....”
      Commander David Corwin und Lieutenant Stephen Franklin sahen einander an.  Dann leerten sie langsam und feierlich ihre Drinks und bestellten dann jeweils einen weiteren.

*    *    *    *    *    *    *

Zeit, es hinter sich zu bringen, dachte Sheridan, als er die Räume in den Baracken betrat, die offiziell als seine eigenen galten.  Er hätte natürlich viel größere verlangen können.  Schließlich war er der größte Captain der Menschheit.  Und der einzige Captain eines schweren Kreuzers.  Ein größeres Quartier war jedoch unnötig, insbesondere, wenn er so wenig Zeit dort verbrachte.
      Einer der Gründe, warum, befand sich bereits dort.
      „Hallo Anna,” sagte er vorsichtig mit gesenkter Stimme.
      „Oh, sieh mal an,” flüsterte sie, während sie sich umdrehte, um ihn zu begrüßen.  „Es ist John Sheridan.  Der Sternenkiller.  Also hallo, Johnny.  Besser spät als nie.  Zwei Tage und du beschließt endlich, vorbeizukommen und deine Frau zu besuchen.”
      „Anna, du bist betrunken.”
      „Natürlich bin ich betrunken!  Ich bin doch immer betrunken, oder nicht?  Nichts anderes zu tun, im Gegensatz zu dir.  Nicht wie der Sternenkiller.  Immer so perfekt.”
      Sheridan setzte sich auf die Bettkante und schaute sie genau an.  Ihr wunderschöner rotes Haar war völlig durcheinander, ihre Augen waren müde und sie roch nach billigem Narnlikör und Schweiß.  Er blickte weg, weil er sie nicht länger in diesem Zustand sehen wollte.  „Wie ist es dir ergangen?”
      „Genauso wie immer,” antwortete sie.  „Du kennst mich.  Ich ändere mich nie, oder?”
      Aber sie hatte sich verändert.  Seit Elizabeth.... ihre Tochter.  Tot seit fast zwei Jahren.  Er war hart und kalt geworden, nur in der Schlacht lebendig.  Sie hatte sich der Flasche zugewandt.  Wer konnte sagen, daß sein Weg besser war als ihrer?”
      „Nein,” flüsterte er ihr zustimmend.  „Die Dinge ändern sich nie.”
      „Bin froh, das zu hören.”  Sie setzte sich neben ihn.  „Wie lange wirst du bleiben?”
      „Nur ein paar Tage.”
      „Oh, ich verstehe.  Du mußt wieder fort.  Kannst es nicht ertragen, bei deiner jämmerlichen, betrunkenen, dir Schande bereitenden Frau zu sein, ist es das?  Also gut!  Geh weg!  Du warst ein jämmerlicher Ehemann und ein jämmerlicher Vater.  Wenn du besser gewesen wärst, wäre Liz vielleicht noch hier.  Noch hier....”
      Er wirbelte herum und hob seine Faust, ohne zu begreifen, was er eigentlich tat.  Dann fing er etwas auf.  Den schwachen Geruch von Orangenblüten.  In ihren etwas klareren Augenblicken versprühte Anna ihn im Zimmer, vermutlich um den Geruch des Likörs loszuwerden, aber vielleicht auch, weil er sie beide an den Garten seines Vaters erinnerte, und an glücklichere Zeiten.  Er erinnerte ihn ebenfalls an Delenn, die den gleichen, süßen Duft verströmte.
      Er begriff, was er tat, und senkte seine Faust.  Sie hatte es nicht einmal bemerkt, aber er hatte.  Er hatte Anna noch niemals geschlagen.  Nicht einmal jemals daran gedacht.  Er erhob sich und stürmte aus dem Zimmer, angewidert von sich selbst, und im Stillen dankte er Delenns Geist dafür, daß er ihn zu seinen Sinnen gebracht hatte.  Als er erkannte, was er tat, verfluchte er sie statt dessen.
      Anna lag noch immer dort, halb schlafend, halb bei Bewußtsein.  Ein Fragment ihres Geistes erinnerte sich daran, was sie gewesen war, und haßte sich selbst dafür, diese.... Kreatur geworden zu sein, aber sie hatte nicht mehr die Willenskraft, sich zu widersetzen.  Sie konnte sich etwas anderes nicht mehr vorstellen.
      Aber jemand anderes konnte es.  Die Tür öffnete sich und Anna blickte auf.  „John?”  Aber es war nicht John.  Es war eine Frau.  Eine attraktive, braunhaarige Frau.
      „Hallo,” sagte die Besucherin.  „Sie müssen Anna sein.  Ich bin Susan.  Susan Ivanova.”
      „Sollte mir das etwas sagen?”
      „Vielleicht.  Darf ich mich setzen?”  Anna nickte und Susan setzte sich neben sie.  „John hat mir viel von Ihnen erzählt.”
      „Klar hat er das.”
      „Er liebt Sie noch immer, wissen Sie.  Er kann die Dinge bloß so nicht akzeptieren, aber machen Sie sich keine Sorgen.  Das wird er.”
      „Er haßt mich.”
      „Nein.... nun.... vielleicht.  Es sind die Minbari, wissen Sie.  Es ist alles ihre Schuld.  Sie haben ihn zu dem gemacht, haben Sie zu dem gemacht.  Es ist alles ihre Schuld, nicht wahr?”
      „Ja.  Minbari.... haben Lizzy getötet.  Meine Tochter.”
      „Tötet sie alle und alles wird gut werden.  Es ist eine hier, wissen Sie.  Eine Minbari.  Eine sehr mächtige.  Sie hat sie sogar während des Krieges angeführt.”
      „Was...?”
      „Wenn sie stirbt, wird alles wieder gut werden, da bin ich mir sicher.  Sie wird in einer Zelle nicht weit von hier festgehalten.  Im Zellenblock des Regierungsgebäudes.  Wenn sie stirbt, wird alles zwischen Ihnen und John bestimmt wieder gut werden.”
      „Gut?”
      „Ja.”  Susan lächelte und Anna konnte nicht anders und lächelte zurück.  „Ihr Name ist Delenn.”



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