Band 1:  Die andere Hälfte meiner Seele Teil I:  Ein dunkler, verzerrter Spiegel


Ein dunkler, verzerrter Spiegel



Kapitel 1


„DER Minbari-Kreuzer nähert sich, Captain.”  Die Stimme des Commanders war angespannt, und er blickte in das Gesicht seines Captains in der Hoffnung, daß er die Art von Wunder sehen würde, die er bereits zuvor erlebt hatte.  Statt dessen aber waren die Augen des Captains leer und fern.  Fast tot.  „Captain?”
      Plötzlich erwachte Captain John Sheridan wieder zum Leben.  „Legen Sie ein Streufeuer.  Drängen Sie sie zurück.  Wenigstens ein bißchen.”  Sie konnten das Minbari-Schiff natürlich nicht direkt anpeilen, aber es gab noch andere Wege.  Es gab immer noch andere Wege.
      „Ja, Sir.”  Der Commander begann die Kontrollen mit routinierter Geschicklichkeit zu bedienen.  Er war schon immer ein talentierter Bordschütze gewesen, und trotz seiner Jugend war er einer der erfahrensten Kanoniere, die die EAS Babylon hatte.  Abgesehen vom Captain natürlich.
      Das Streufeuer hatte wie erwartet nur begrenzte Wirksamkeit.  Die Tatsache, daß sie nicht in der Lage waren, die Minbari direkt anzupeilen, machte die Sache sehr viel schwieriger, aber keiner von ihnen war gewillt, einfach aufzugeben, nur weil ihr Feind besser ausgestattet, besser bewaffnet und in einer besseren Lage war als sie.  Wie der Captain es einmal ausgedrückt hatte, ‚Sie stürzen auch irgendwann.  Es wird ihnen nur viel mehr weh tun.’
      „Bereits irgendwelche Anzeichen, daß wir sie getroffen haben, David?” fragte Sheridan.  Er saß in seinem Kommandostuhl, den er in den letzten Tagen kaum noch verließ.
      „Nicht ganz,” antwortete der Commander.  „Sie stören unsere Sensoren immer noch zu sehr, um etwas sagen zu können.  Lieutenant?”
      „Sie verlangsamen, und ihre Waffen scheinen nicht effektiver zu sein als unsere.”
      „Ich werde wohl....” murmelte Sheridan.  „Vielleicht arbeitet das Gegenmaßnahmensystem, welches die Narn uns verkauft haben, ja tatsächlich.  Wie sieht's mit den Sprungtriebwerken aus, Stephen?”
      „Noch etwa zehn Minuten.”
      „Verdammt!  Also gut.  Legen Sie weiterhin ein Streufeuer, David.”  Manchmal hatte der Commander sehr große Mühe, den Captain zu verstehen, aber nicht in diesem Augenblick.  Der Captain schien nur für den Kampf zu leben, nur im Kampf wirklich aufzuleben.  Der Commander hatte gehört, daß die Minbari Sheridan nach dem Sieg über den Schwarzen Stern noch immer „Sternenkiller” nannten.  Das war damals ein denkwürdiges Ereignis gewesen.
      „Captain!” rief der Lieutenant.  „Wir verlieren die Hüllenintegrität auf den Achterdecks.  Sie ist runter auf fast 30 Prozent.  Der Minbari-Kreuzer wurde ebenfalls beschädigt.  An den vorderen Schubtriebwerken, glaube ich.”
      Captain Sheridan nickte.  „Gut.  Befehlen Sie allen Starfuries, auf die vorderen Triebwerke zu feuern.  Sie sollen einen möglichst großen Schaden anrichten, aber sich nach einer Minute zurückziehen.  David, machen Sie die Fusionsbombe fertig.”
      Er schien so kompetent und gefaßt, dachte der Commander.  Immer bereit für alles.  Keine Panik.  Keine Angst.  Der Commander nahm an, er wüßte warum.  Der Captain hatte in diesem Krieg bereits zu viel verloren, um noch irgendwelche Angst um sein Leben zu haben.
      „Die Starfuries ziehen sich zurück,” entgegnete der Lieutenant rasch.  „Der Kreuzer lädt seine vorderen Geschütze!”
      „Starten Sie die Fusionsbombe und initiieren Sie ein Ausweichmanöver.  Bringen Sie diese Bombe da raus!”
      Der Commander wußte, daß es in der Hitze jeder Schlacht einen Augenblick gab, in dem sich die Gefahr des bevorstehenden Todes oder das Versprechen eines erneuerten Lebens über das ausdehnte, was in Wirklichkeit nicht mehr als ein paar Sekunden waren.  Wie lange brauchte der Kreuzer, um seine Frontgeschütze abzufeuern?  Wie lange benötigte die Fusionsbombe, um das Ziel zu erreichen, welches erst durch den angerichteten Schaden sichtbar werden würde?
      „Bombe gestartet, Captain,” erwiderte der Lieutenant.  Er kannte die lange Sekunde ebenfalls.  Der Commander begann seine Hand zu einer Faust zu ballen.  Dies' war eine sehr lange Sekunde.
      Dann schien der Boden unter seinen Füßen zu rütteln und zu beben.  Zuerst dachte der Commander, daß das Minbari-Schiff es geschafft hatte zu feuern, dann aber verging die lange Sekunde und er begriff, daß die Bombe gezündet hatte.
      „Na also,” flüsterte er leise.  „Vielleicht funktioniert Narn-Technologie ja tatsächlich.”  Er blickte umher.  Da war keine Freude in ihrem Sieg.  Dieses eine Mal hatten sie gewonnen, ja, aber was war ein Sieg im Vergleich zu unzähligen Niederlagen?  Sie alle hatten so viel in diesem Krieg verloren.  Viel zu viel.
      „Bringen Sie die Starfuries sofort herein!” brüllte der Captain.  „Sind unsere Sprungtriebwerke wieder in Betrieb?  Gut.  Öffnen Sie ein Sprungtor, sobald die 'Furies drinnen sind.  Der nächstgelegene sichere Hafen, an dem wir andocken können, ist Vega Sieben, also setzen Sie dahin Kurs und schaffen Sie alle verfügbaren Mechbots an die Reparaturen.”
      „Aye, Captain.”
      „Soviel dazu, daß dieses Jahr besser sein wird als das letzte,” sagte Sheridan wütend.
      „Wir sind doch noch am Leben, oder?”
      „Wenn Sie das am Leben zu sein nennen.  Und dabei ist es erst Mitte Januar.  Ich habe so ein Gefühl bezüglich dieses Jahres, Mr. Corwin.  Ich denke, daß 2258 das Jahr sein wird, in dem sich alles verändert.  Status, Lieutenant Franklin?”
      „Alle 'Furies sind an Bord, Captain.”
      „Gut.”  Captain „Sternenkiller” Sheridan nickte abwesend.  Das war ein sehr langer Krieg gewesen.  Zehn Jahre zu lang.  „Gut.”

*    *    *    *    *    *    *

„Die andere Hälfte unserer Seele,” murmelte die Minbari-Frau leise.  „Die andere Hälfte unserer Seele.”  Sie lehnte sich zurück und seufzte sanft.  Wie lange war sie bereits hier?  Ein paar Tage, und Valens Prophezeiungen machten genauso wenig Sinn wie am Anfang - eigentlich noch weniger Sinn als sonst.  Aber sie wußte, warum sie hier unten auf Minbar war, warum sie die Prophezeiungen las, bis sie wahrscheinlich blind werden würde.  Es war dem Zusammensein mit dem Grauen Rat vorzuziehen.
      „Du brauchst eine Pause,” sagte eine ernste und kommandierende Stimme.  Sie schaute auf und lächelte müde.  Draal hatte schon immer diesen Effekt auf sie gehabt.  Er war der beste Freund ihres Vaters gewesen, und nun war er dessen einziger Teil, der noch übrig war.  „Du bist schon viel zu lange hier, Delenn.”
      „Als ich ein Kind war, hast du mich heftig dafür gescholten, daß ich nicht lang genug studiert habe,” antwortete sie mit funkelnden Augen.
      „Das war damals.  Und das große Vorrecht des Alters ist die Möglichkeit, seine Meinung nach Belieben zu ändern.  Damals hattest du immer Tagträume und hast wie eine in Kristall gehauene Statue aus dem Fenster gestarrt.  Und nun studierst du die ganze Zeit.  Wir besitzen die Prophezeiungen bereits seit tausend Jahren, Delenn.  Du kannst nicht alle über Nacht lösen.”
      „Ich kann es versuchen, und vierzehn Zyklen sind wohl kaum über Nacht, alter Freund.”
      „Ich dachte, du hättest es bereits gelernt.”  Er setzte sich neben sie und begann, seine Finger durch den kleinen Bart zu streifen, den er angefangen hatte zu tragen.  Eine seltsame Angewohnheit, fast nach Art der Centauri.  „Du kannst die Rätsel des Universums nicht allein lösen, Delenn.  Neroon hatte versucht, dich das zu lehren, erinnerst du dich?”
      Sie stutzte und erhob sich plötzlich.  „Neroon ist nicht mehr hier, Draal.  Er hat seine eigene Entscheidung getroffen.”
      „So wie du, aber die Tatsache, daß eure Entscheidungen im Einklang waren, macht sie noch lange nicht richtig.”
      Draal machte sie wütend, wenn er sich so verhielt, aber Delenn wußte, daß ihre Entscheidung doch richtig gewesen war.  Neroon mußte seinen eigenen Weg gehen, und sie ihren.  Wo auch immer Neroon jetzt war, sie hoffte, daß es ihm gut ging.  „Vielleicht hast du recht,” entgegnete sie.  „Vielleicht brauche ich wirklich eine Pause.”  Sie ließ langsam ihre Hand über ihr Herz gleiten und neigte ihren Kopf.  Eine rituelle Geste, aber eine, die so viele Schichten von Förmlichkeiten, Zorn und Verlust enthielt, daß es für sie fast schmerzhaft war, sie zu vollführen.
      Sie wußte, daß Draal sie beobachtete, als sie die Bibliothek verließ, aber sie war deswegen nicht beunruhigt.  Es war fast.... tröstlich.  Manchmal erinnerte er sie an ihren Vater.
      Dem Anblick von Minbars Sonne, die an den kristallinen Felsen reflektiert wurde, mißlang es niemals, ihren Atem stocken zu lassen, und dies geschah auch jetzt.  Aber obwohl die Felsen sie mit ihrer Schönheit sprachlos machten, brachten sie ihr dennoch wenig Trost.  Sie sah einen weißgekleideten Akolythen nicht weit entfernt stehen, und seufzte.
      „Es scheint, daß die Pflicht dich ruft, Delenn,” sagte Draal, als er aus der Bibliothek kam und sich neben sie stellte.  „Erinnere dich an das dritte Prinzip vernunftbegabten Lebens, Delenn.”
      „Ich weiß,” antwortete sie sanft lächelnd.  „Die Fähigkeit zur völligen Selbstaufgabe für einen Freund, ein geliebtes Wesen, oder eine Sache.”
      „Und kleine Opfer bedeuten genauso viel wie die großen.”
      „Ich weiß.  Ich weiß.”
      Ashan, der Akolyth, kam heran, seinen Kopf gesenkt haltend, wie es Tradition war für jemanden, der sich einem Mitglied des Grauen Rates näherte.  „Satai Delenn, der Graue Rat erbittet Ihre Anwesenheit.”
      „Mehr Diskussionen über die Ranger, nehme ich an.”
      „Branmer war ein großartiger Mann,” sagte Draal sanft.  Er und Branmer waren Freunde gewesen.
      „Es gab viele großartige Gestalten in unserer Geschichte,” antwortete Delenn.  „Und alle sind tot.”
      „Der Tod fordert uns alle früher oder später.”
      „In viel zu vielen Fällen ist es früher.”  Delenn blickte hinab auf Ashan.  „Wir können den Rat nicht warten lassen.  Ich werde die Zhalen zu den Kammern des Rates nehmen.  Danke, Ashan.”
      Delenn warf einen letzten Blick auf die glänzende, weite Fläche aus Kristallfarbe und lächelte traurig.  Alles änderte sich, und nicht unbedingt zum Besseren.  Sie fröstelte plötzlich, und zog ihr Gewand enger um sich, während sie zu ihrem Schiff ging.

*    *    *    *    *    *    *

„Ich bin sehr dankbar für Ihre freundliche Unterstützung, Administrator Na'Far,” sagte Sheridan.  „Mit Ihrer Hilfe sollten die Reparaturen nur etwa vierundzwanzig Stunden dauern, und dann werden wir wieder fort sein.”
      „Sie sind hier immer willkommen, Captain Sheridan,” sagte der Narn, während er langsam und präzise wie immer sprach.  Na'Far entbehrte vielleicht des skrupellosen Ehrgeizes, um hoch im Kha'Ri aufzusteigen, aber er hatte wenigstens ein Auge für das Detail, was ihn zu einer exzellenten Wahl für die Verwaltung einer Kolonie machte, auch wenn es nur eine kleine und im allgemeinen unwichtige wie diese war.  „Wir alle schulden Ihnen großen Dank.  Ich war auf Gorash Fünfzehn, als Sie uns in unserem Kampf gegen die Centauri halfen.”
      „Ja, ich weiß.”  Die Narn, wie?  Große Verbündete, wenn es um Höflichkeit ging und darum, vor jemanden zu kriechen, aber man sie um irgendwelche Schiffe, Minen oder Hochgeschwindigkeitsfusionsbomben bat, dann war alles „politisch ungünstig” oder es waren „große Geldsummen nötig, um die allgemeinen Unkosten zu decken”.  Sie hatten nicht über große Geldsummen oder politische Vorteile gesprochen, als er die Babylon in die Schlacht um Gorash 15 geführt, oder die Versorgungsgüter nach Frallus 12 transportiert, oder den letzten, verzweifelten Angriff gegen die Centauri im Sektor 37 gestartet hatte.
      Oh, hör auf zu stöhnen, dachte Sheridan im Stillen.  Sie haben sich als einigermaßen brauchbare Verbündete erwiesen.  Wenigstens gewährten sie uns Asyl vor den Minbari und verkaufen uns sogar ab und zu vereinzelte Fusionsbomben oder kleine Kreuzer.  Besser als überhaupt keine Verbündeten, wie ich meine.
      „Danke nochmals für Ihre Hilfe, Administrator.  Meine Regierung weiß alles, was Sie für uns tun, sehr zu schätzen.”
      „Es ist keine große Sache, Captain Sheridan.  Hätten Sie Lust, einige Mitglieder Ihrer Kommando-Crew für eine kleine Rast auf die Oberfläche mitzubringen?  Ich würde Sie sehr gerne persönlich treffen.”
      „Warum nicht, Administrator, danke.  Es wäre mir eine Ehre.  Ich werde Sie dann in einer Standard-Stunde treffen.”
      „Bis dann, Captain.”
      Das Gesicht des Narn verschwand vom Bildschirm und Captain Sheridan lehnte sich zurück, sanft seufzend.  Da war etwas bei den Narn, das er ehrlich nicht leiden konnte.  Es war nichts, das er benennen konnte, aber es ärgerte ihn, zu ihnen um Hilfe kriechen zu müssen.  Vielleicht war es das.  Er sollte nicht gezwungen sein, zu den Narn zu gehen und um Hilfe zu bitten.  Er sollte nicht gezwungen sein, zu einer Menschenkolonie zu gehen und um Erlaubnis zu bitten, dort einen Orbit aufzuschlagen.  Verdammt, er sollte nicht gezwungen sein, zu einer Menschenkolonie zu gehen, wo die Menschen von Narn regiert wurden, für Narn arbeiteten und von Narn besteuert wurden.
      Auf der anderen Seite, wenn die Narn nicht einen so schnellen Zugriff auf Vega 7 und die anderen Kolonien nach der Schlacht um die Erde gemacht hätten, hätten die Minbari vielleicht ihre Aufmerksamkeit ebenfalls darauf gerichtet und den Planeten in einen desolaten Felsen verwandelt, so wie sie es mit der Erde gemacht hatten.
      Captain Sheridan war über vierzehn Jahre lang nicht mehr auf der Erde gewesen, und nun würde es ihm niemals mehr möglich sein, das zu tun.  Die Minbari hatten die Atmosphäre zerstört, die Seen und Meere gekocht und jedes lebende Wesen auf dem Planeten vernichtet.  Er hatte von Leuten wie Corwin, Anna und General Hague oft genug gehört, daß er nicht rechtzeitig dorthin hätte gelangen können, um einzugreifen, aber er hätte trotzdem dort sein sollen, auch wenn nur, um zusammen mit seinem Planeten zu sterben.
      Und was war er jetzt?  Ein Rebellenführer, ein Held, ein Dämon, ein Massenmörder, der Sternenkiller, Ehemann, Vater, oder einfach nur ein Mann, der nicht wußte, wann er aufhören sollte, in einem Krieg zu kämpfen, den er nicht gewinnen konnte?
      „Commander Corwin, ich werde für ein persönliches Treffen mit Administrator Na'Far auf den Planeten gehen.  Würden Sie gerne mitkommen?”
      „Ich werde hier zu tun haben, Captain, es tut mir leid,” antwortete Corwin mit gespielter Aufrichtigkeit.  Corwin konnte Narn noch weniger leiden als Sheridan.
      „Also gut.  Lieutenant Franklin, kontaktieren Sie die Lieutenants Keffer und Connally.  Wir vier werden auf die Oberfläche herunterfliegen und uns mit einen Narn oder drei sozialisieren.”
      „Ja, Captain.”  Franklin sah darüber nicht glücklich aus, aber das tat niemand in diesen Tagen.
      Administrator Na'Far.  Ein Narn, der eine Menschenkolonie leitete.  Sheridan freute sich nicht auf diese Begegnung.

*    *    *    *    *    *    *

„Verfluchtes Narn-Gesindel!  Man sollte sie alle zurück ins All schießen, wenn du mich fragst!”
      „Marcus.  Du bist betrunken.”
      „Ich hoffe es wirklich, oder all das feine.... was immer es war.... wäre vergeudet gewesen.”
      Joseph Cole blickte zärtlich zu seiner Frau Katherine, die zurücklächelte und die Achseln zuckte.  Ihr Achselzucken sagte alles:  Er ist dein Bruder.  Ergo dein Problem.
      „Gleich vor den Minbari, denke ich.  Oh, vor den Centauri ebenfalls.  Ihre lächerlichen Haarfrisuren.  Ich frage mich, ob sie begreifen, wie blöd sie aussehen.”  Joseph stand auf und ging zu seinem jüngeren Bruder, der wild gestikulierte.  „Drazi, ebenso!  Man sollte glauben, daß ihnen jemand beibringen könnte, wie man einen ordentlichen Satz zusammenbaut.  Es ist nicht so schwer.  Nein, Joe, laß mich allein.”
      „Marcus, wenn du die Außerirdischen weiterhin so beleidigst wie eben, wirst du in einen Kampf geraten.”
      „Fein, sie sollen nur kommen.”  Zum Glück für Marcus enthielt die Bar im Augenblick nur Menschen.  Die Narn neigten dazu, an ihren eigenen Orten zu verweilen, und es gab hier äußerst wenig Nicht-Menschen.  Vega 7 war selbst in seinen besten Zeiten nicht unbedingt ein blühender Mittelpunkt der Aktivität.
      Katherine seufzte sanft.  „Und schon wieder.”
      „Er ist nur betrunken, das ist alles.  Er meint es nicht so.”
      „Er ist immer betrunken, Joe.  Er arbeitet den ganzen Tag in den Minen und trinkt die ganze Nacht.  Er wird sich eines Tages umbringen.  Falls ein Narn das nicht zuerst für ihn erledigt.”
      „Ich weiß, ich weiß, aber.... es ist wirklich verständlich.  Die Dinge waren hier nicht leicht unter den Narn.  Nicht seit dem Krieg.”
      „Ich weiß, daß die Dinge hier nicht sehr schön gewesen sind, aber du kannst nicht zulassen, daß Marcus sein Leben wegwirft.  Ich sorge mich ebenfalls um ihn, weißt du.”
      Joseph drehte sich zu seinem Bruder zurück, der gerade versuchte, sein Haar in eine Centauri-Mähne anzuordnen.  „Komm mit, Marcus.  Laß uns nach Hause gehen.”
      „Nach Hause?  Hab' kein Zuhause.  Minbari haben es zerstört.  Haben alles zerstört.”
      Joseph seufzte erneut.  Das würde eine lange Nacht werden.

*    *    *    *    *    *    *

„Sie sehen ein wenig.... nervös aus, Captain Sheridan?”  Na'Far bot Sheridan höflich einen Drink an, den der ebenso höflich ablehnte.  Er hatte Narn-Getränke zuvor gekostet.  Connally hatte das nicht, und nahm den Drink.  Einen raschen Schluck später bereute sie es bereits deutlich.
      „Nur ein wenig.... zusätzliche Anspannung nach dem Kampf, das ist alles.  Ich fühle mich immer so nach einer Mission.”
      „Ich verstehe.  Und was gibt es Neues über die Minbari?  Falls das natürlich kein Geheimnis ist?”
      „Wirklich nur das übliche.  Nur.... nun, sie behaupten sich.”
      „Ich habe einige Erfahrungen mit den Minbari, wissen Sie.  Ich habe gehört, daß sie immer gemeinsam handeln.  Als vor vierzehn Ihrer Jahre der Krieg begann, wurden sie alle gemeinsam wütend.  Vielleicht sind sie alle nun gemeinsam daraus aufgewacht?”
      „Ein wenig zu spät dafür, nicht wahr?”
      „Wie war doch diese menschliche Redewendung?  ‚Lieber spät als nie’?”
      „Ich habe selbst nie viel auf Redewendungen gegeben.”
      „Wie steht's mit Ihrer Regierung, Administrator?” fragte Franklin.  Er war vor dem Krieg ein wenig herumgereist, per Anhalter auf Schiffen hauptsächlich.  Er war einer der wenigen Leute an Bord der Babylon, der jemals eine direkte Begegnung mit einen Minbari gehabt hatte, die beide überlebten.  Franklin hatte darauf hingearbeitet, ein Arzt zu werden, als vor ein paar Jahren dann sein Vater gestorben war.  Dieses Ereignis hatte ihn veranlaßt, eine Stellung an Bord der Babylon anzustreben.  Er hatte genug medizinisches Wissen, um ein eindrucksvoller Arzt zu sein, aber er behauptete, die Stellung an Bord zu bevorzugen.  Sheridan hatte General Franklin recht gut gekannt.  „Der alte Feuersturm” hatte einen guten Tod gehabt.  Einen besseren als viele andere.
      Franklin war der einzige, der sich im Entferntesten behaglich fühlte in diesem Raum, der spartanisch und dunkel wie alle Narn-Unterkünfte war.  Ein Gestell mit Kerzen stand auf einem Steintisch, ein uraltes Buch lag eingefangen in deren flackerndem Licht.  Keffer hielt sich im hinteren Teil des Raumes auf und wünschte sich offenbar, woanders zu sein.  Connally erholte sich immer noch von demjenigen, was auch immer ihr Na'Far gegeben hatte, und Sheridan.... er wollte einfach nur weit weg von hier sein.
      „Oh, das gleiche wie immer, Lieutenant,” antwortete Na'Far.  „Oder wenigstens werde ich veranlaßt, das zu glauben.  Ich bin hier draußen ein wenig weit entfernt von dem politischen Mittelpunkt, wissen Sie.”
      „Ja, aber dennoch war Ihre Hilfe für uns sehr wertvoll, Administrator,” sagte Sheridan.  Da war ein Aufblitzen von irgend etwas Fremden in den blutroten Augen des Narn.  Von etwas Mysteriösem.
      „Gern geschehen, Captain.  Im Andenken an Gorash Fünfzehn.  Wie lange werden Ihre Reparaturen dauern?”
      „Ungefähr vierundzwanzig Stunden.”
      „Oh.”  Der Narn senkte plötzlich seinen Blick.  „Es tut mir sehr leid deswegen, Captain.  Der Befehl kam direkt aus dem Kha'Ri.  Ich war nicht einverstanden, aber ich kann ihn nicht ignorieren.”
      Jeder Instinkt in Sheridans Körper warnte ihn vor etwas, und dann begriff er.  Nicht ein Geruch, nicht ein Geräusch oder ein Anblick, sondern ein Gefühl.  Ein Gefühl, das niemals zuvor falsch gewesen war.  Minbari!
      Augenblicklich ergriff er seine PPG und wirbelte herum, so daß sein Rücken zur Wand zeigte.  Es war zu spät.  Die Tür zu Na'Fars Zimmer sprang auf und sechs sehr große Minbari strömten herein, in Schwarz gekleidet und mit ihren Kampfstäben bewaffnet.  Kriegerkaste.  Sheridan feuerte sofort, und traf den ersten direkt in die Brust.  Der Minbari fiel, aber die anderen waren schnell, so verdammt schnell.
      Keffer war ihnen am nächsten.  Er machte eine überraschte Bewegung, aber er war hilflos, als ein Kampfstab sein Gesicht traf und ihn gegen die Wand warf, wo er still und bewegungslos liegenblieb.  Armer Warren.  Er schien nur in seiner geliebten Starfury aufzuleben.  Sheridan feuerte erneut, aber diesmal erzielte er nur eine Fleischwunde.
      Franklin hatte versucht, seine PPG zu ziehen, aber seine Instinkte waren die eines Arztes und nicht eines Kriegers, und er wurde mit einfachen Schlägen auf Beine und Seite niedergeschlagen.  Connally hatte es geschafft, ihre eigene Waffe zu ziehen, und streckte einen Minbari nieder.
      Das Schiff!  Das Schiff kommt zuerst!  Sheridan aktivierte seinen Kommunikator so schnell, wie er konnte.  „Sheridan an Corwin!  Machen Sie, daß Sie hier herauskommen!  Ich wiederhole!  Machen Sie um Himmels willen, daß Sie hier herauskommen!  Corwin, Sie....”  Ein Kampfstab traf seinen Arm und brachte ihn derart aus dem Gleichgewicht, daß er seine PPG verlor.  Er versuchte daraufhin, mit einem Faustschlag zu kontern, aber scheiterte.
      Verdammte Minbari!  Sie waren zu schnell und zu gut.
      Ein Kampfstab krachte gegen Sheridans Schädel, und sein Bewußtsein schwand.

*    *    *    *    *    *    *

Irgendwo in der Randzone wimmelte eine tote Welt wieder mit Leben.  Von einer Welt, schlicht Z'ha'dum genannt, stieg ein Shuttle auf, und flog ins All.



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